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welche aus den Riesenbäumen fallen, die längs dem Ufer hin schatten: – hier erblickt man klafterdicke Weiden, vom Alter niedergestürzt, welche ihre grauen Wipfel in den Fluthen baden; dort spiegeln sich in den Wellen hohe Platanen, aus deren Zweigen die Lianen kosend zum Fluße sich neigen; hier stehen Canadische Feigenbäume in Gruppen; da, in Reihen, erheben sich Virginische Pappeln; dort schauen vom Sturm und Alter ihrer Krone beraubte, moosbewachsene Fichten von schwarzer Felswand auf die dunkeln, rauschenden Wasser der Tiefe traurig hinab. – Bald vermählt sich ein Fluß, der aus der Nacht eines herrlichen Hochwalds hervorbricht, voll Ernst mit den Wellen des strömenden Meers; bald stürzt demselben ein Bach, jugendlich wild, als tosende Caskade von hoher Felswand in die breiten Arme, seine Vereinigung im weissen Dunstschleier verhüllend. Hier weichen die Ufer, dort krümmen sie sich anmuthig; bald wird das Strombett breiter, bald enger; hier hängen nackte Felsen über, dort schattet das junge Laub der Bäume, deren Wipfel der Ebene gleichen, welche sie nährt. Kein Glockengeläute weidender Heerden, kein Hundegebell, kein Schall rodernder Aexte erinnert den Wanderer an die Nähe menschlicher Wohnungen. Der einsam jagende Indianer, das flüchtige Reh und der scheue Hirsch, die ihm zuweilen begegnen, der Fischadler, der hoch über den Wassern nach Raub späht, oder den erhaschten auf einer Felszacke verzehrt, sie sind keine störende Staffage im Bilde der Stille und Ruhe und mindern den Genuß der Einsamkeit nicht. – In angebauten Gefilden müht sich in weiten Räumen zu schweifen vergebens die Phantasie; der civilisirte Mensch, dem sie überall begegnet, ist das Blei an ihren Fittigen: – aber in jenen Gegenden mag sich die Seele gern in den Ocean der Wälder senken und auf den Wogen der Ströme sich wiegen und, gleichsam die Fesseln der Civilisation abstreifend, sich vermischen und verschmelzen mit der wilden, freien Natur.

In solchen Gefühlen verloren denke man sich den Reisenden, als ihm plötzlich ein nie gehörtes, seltsam-hohles Murmeln in das Ohr dringt; schauerliches Getön, wie ganz ferner Donner, bald wiederkehrend, bald sich verlierend. Herzklopfend steht er und horcht, bis plötzlich auf den Fittigen eines Windzugs, von Einöde zu Einöde getragen, ihm deutlich das feierliche Tosen des Niagarafalls entgegenhallt, seines Ziels, dem er beflügelten Fußes nun zueilt. – –

Das Großartige, das Wunderbar-Herrliche dieser Naturscene haben wir bereits auf einem frühern Blatte dieses Werkes[1] zu beschreiben versucht. – Dort gaben wir vom Niagarasturze eine Ansicht, welche unterhalb desselben aufgenommen war. Die nebige Abbildung zeigt uns den Strom oberhalb des Falls, da, wo er über eine stark geneigte Felsenlehne hinweg, siedend und schäumend, mit unglaublicher Kraft, der hohen Steinmauer