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Herman Melville Übersetzt von Rudolph Garrigue: Vier Monate auf den Marquesas-Inseln oder ein Blick auf Polynesisches Leben
2. Theil

sie sicher inmitten aller ihrer irdischen Habe, in Häusern, deren Thüren nie geschlossen waren, nie beunruhigten sie Gedanken an Diebstahl oder Mord, jeder Insulaner ruhte unter seinem eignen Palmettodache oder sonst im Schatten seines eignen Brotfruchtbaumes und Niemand belästigte oder störte ihn. Es gab im ganzen Thale nicht Schloß oder Riegel, noch irgend etwas, was demselben Zweck entsprochen hätte, dennoch war keine Gütergemeinschaft dort. Dieser lange Speer, so prächtig geschnitzt und so schön polirt, gehört dem Wormoonoo, er ist viel schöner, als der, auf welchen Marheyo so großen Werth legt, es ist das werthvollste Besitzthum des genannten Kriegers und doch habe ich ihn im Cocoswäldchen an einem Baum gelehnt gesehen und dort wurde er gefunden, als man ihn suchte. Hier ist ein Wallroßzahn, der mit sehr schönen Figuren beschnitzt ist: es ist das Eigenthum Karlunas; er ist das Werthvollste, was das Dämchen an Schmucksachen besitzt. In ihren Augen ist er viel mehr werth als Rubinen – und doch hängt der Zahnschmuck an einer Schnur von geflochtenem Bast in dem Hause des Mädchens, welches weit abgelegen im Thal liegt. Die Thür ist offen, und alle Hausbewohner sind ausgegangen, um sich im Strome zu baden.[1]


  1. Die strenge Rechtlichkeit, welche die Bewohner von fast allen polynesischen Inseln gegen einander beobachten, steht im schroffen Widerspruch mit der Neigung zum Diebstahl, welche [142] viele unter ihnen bei der Berührung mit Fremden zeigen; es scheint fast, als ob nach ihrem eigenthümlichen Moralcodex das Stehlen eines Hammers oder eines Nagels von einem Europäer als eine löbliche Handlung betrachtet wird, oder besser, man kann annehmen, daß sie in Betracht der großartigen Übergriffe, welche ihre nautischen Besucher sich gegen sie erlauben, sie das Eigenthum der letzteren als ihnen zukommenden Ersatz betrachten. Diese Ansicht der Sache sollte, wie sie dazu dient, einen anscheinenden Widerspruch in dem Charakter der Insulaner zu erklären, auch einigermaßen die geringe Meinung heben, welche Leser von Südseereisen sich nur zu leicht über denselben bilden.
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Herman Melville Übersetzt von Rudolph Garrigue: Vier Monate auf den Marquesas-Inseln oder ein Blick auf Polynesisches Leben, 2. Theil. Gustav Mayer, Leipzig 1847, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Melville-Vier_Monate_auf_den_Marquesas-Inseln._Teil_2.djvu/147&oldid=- (Version vom 1.8.2018)