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Der März des Jahres 1848 war noch keine solche Zeit.

Wie es den ahnungslos im Walde Dahinwandelnden trifft, wenn er, der drückenden Enge der Stube entflohen, das Auge erfrischt an dem lebendigen Grün und erquickt einatmet die langentbehrte freie Luft und nun ihn plötzlich mit wütendem Zischen eine giftige Natter anfällt, die er, in seinen Frühlingstraum versunken, unversehens niedergetreten — und er fällt leblos ins blühende Gras, — so zischten die todbringenden Kugeln eines verendenden Regierungssystems in die festlich gehobene Stimmung der Massen, so vergifteten ihre verderblichen Wirkungen die reinen Empfindungen, mit denen die junge Freiheit eben erst alle Gemüter befeligt hatte. Und 23 Leichen in den Straßen Wiens färbten die Steine mit ihrem Blute.

Ihr Toten des 13. März, — wir grüßen euch heute aus treuem Angedenken! Eure Namen zwar sind der großen Menge unbekannt und von vielen hat nicht einmal die Geschichte sie dem Nachforschenden aufbewahrt. Ihr waret eben die Opfer, die der Masse auferlegt wurden, und die Masse ist es denn auch, die euer Andenken lebendig erhalten hat und es bewahren wird für und für in dankbarem Herzen.

Ihr armen Opfer, die ihr jäh aus dem Leben scheiden mußtet, da es eben erst lebenswert schien, die ihr grausam aus der Gemeinschaft der Menschen gerissen wurdet, eben als diese sich aufs herrlichste zu betätigen anschickte, ihr armen, ahnungslosen Opfer blind zuschlagender Gewalt, — ihr mußtet fallen! Nur ein unerhörtes Ereignis — das wußten auch damals schon alle Einsichtigen — konnte Wandel schaffen in den verrotteten Zuständen des alten Regims. Wehmut und Ingrimm mögen uns heute erfüllen, wenn wie solch unseliger Notwendigkeit uns bewußt werden; und unser Inneres muß sich empören in Zorn und Abscheu, zu sehen, daß diese Notwendigkeit immer noch in der Geschichte herrscht, so daß auch heute noch ein bluttriefendes Gewaltregiment in Rußland der Kulturmenschheit ein Bild vor Augen stellen konnte, daß sie nimmermehr sehen zu müssen glaubte. Mit welch bitteren Empfindungen gedenken wir späten Nachkommen euer, ihr Toten des März, da wir gewahr werden, wie auch noch heute nur Menschenblut es ist, mit dem der Boden gedüngt werden kann für die Saat der Vernunft, nur hingestreckte Menschenleiber es sind, die den Bann verbrecherischer Herrschsucht und verjährten, zum Unrecht gewordenen Vorrechtes zu brechen vermögen. In dieser niederdrückenden Empfindung gereicht es uns wenigstens zum Trost und zur Freude, wenn wir der Art gedenken, in der sich dies harte Schicksal im Jahre 1848 vollzog.

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Max Adler: 1848. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, Wien 1905, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Max_Adler_-_1848_21.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2018)