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Allein die einzelnen Todten zu unterscheiden, war so leicht nicht: sie sind sämmtlich nackte Gerippe, die sich alle vollkommen ähnlich sahen. Nur mit Mühe und nach langem Betrachten konnten wir Einzelne erkennen. Sie lagen unscheinbar und ohne alle besondere Kennzeichen auf einem Haufen übereinander, und hatten auch keine Spur mehr von dem, was bei uns zur Schönheit gehört. Aus diesem Haufen übereinanderliegender Skelete also, von denen eines so furchtbar wie das andere die leeren Augenhöhlen wies und mit den unbedeckten Zähnen mich angrinste, war ich sehr in Verlegenheit, wie ich den Thersites und den schönen Nireus, den Bettler Irus und den Phäaken-König, den Koch Pyrrhias und Agamemnon herausfinden sollte. Da war auch kein einziges der alten Merkmahle mehr an ihnen zu sehen; Alle ohne Unterschied waren unkenntliche, charakterlose Knochengestalten.

16. Wie ich so diese Erscheinungen betrachtete, kam mir das ganze menschliche Leben wie ein großer festlicher Aufzug vor, dessen Vorsteherin und Anordnerin die Glücksgöttin ist, welche unter die aufziehenden Personen die mannichfaltigsten Rollen vertheilt. Der Erste Beste, den ihr der Zufall in die Hände spielt, wird von ihr als König ausstaffirt, bekommt eine Tiare auf den Kopf und ein Diadem um die Stirne, und wird mit einer Leibwache umgeben. Ein Anderer erhält die Sklaventracht: ein Dritter wird zum schönen Jüngling herausgeputzt; und weil das Schauspiel Mannichfaltigkeit haben soll, so muß sich der Vierte gefallen lassen, eine häßliche und lächerliche Figur vorzustellen. Oft läßt die Göttin mitten unter dem Aufzug selbst von Einigen die Masken wechseln,

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Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0299.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)