Betrübt ging er wieder zu dem professor. Klagte ihm sein leid. Der professor besah sich die versuche des meisters und sprach: „Lieber meister, sie besitzen eben keine phantasie.“
Ja, das wars. Die besaß er offenbar nicht. Phantasie! Aber er hatte gar nicht gewußt, daß die zum sattelerzeugen notwendig sei. Hätte er sie gehabt, so wäre er sicher maler oder bildhauer geworden. Oder dichter, oder komponist.
Der professor aber sagte: „Kommen sie morgen wieder. Wir sind ja da, um das gewerbe zu fördern und mit neuen ideen zu befruchten. Ich will sehen, was sich für sie tun läßt.“
Und in seiner klasse schrieb er folgende konkurrenz aus: entwurf für einen sattel.
Am nächsten tage kam der sattlermeister wieder. Der professor konnte ihm neunundvierzig entwürfe für sättel vorweisen. Denn er hatte zwar nur vierundvierzig schüler, aber fünf entwürfe hatte er selbst angefertigt. Die sollten in den „Studio“. Denn es steckte stimmung in ihnen.
Lange besah sich der meister die zeichnungen und seine augen wurden heller und heller.
Dann sagte er: „Herr professor! Wenn ich so wenig vom reiten, vom pferde, vom leder und von der arbeit verstehen würde, wie sie, dann hätte ich auch ihre phantasie.“
Und lebt nun glücklich und zufrieden.
Und macht sättel. Moderne? Er weiß es nicht. Sättel.
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/219&oldid=- (Version vom 1.8.2018)