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für die schließliche Entwicklung versetzen, die jetzt so rasch und so direkt wie möglich herbeigeführt wird.

Mit der eigentlichen Pointe – mit der Antwort des Raben: „Nimmermehr!“ auf die schließliche Frage des Liebenden, ob er seine Geliebte in einer andern Welt wiederfinden werde – mag das Gedicht in seiner alltäglichen Phase – der einer bloßen Erzählung – sein Ende erreicht haben. Alles bewegt sich bis jetzt innerhalb der Grenzen des völlig Erklärlichen, – des Wirklichen. Ein Rabe, der durch Übung das einzige Wort „Nimmermehr“ erlernt hat und seinem Besitzer entflogen ist, wird zur Nachtzeit durch einen heftigen Sturm veranlasst, Schutz an einem Fenster zu suchen, durch das ein Licht schimmert, – an dem Stubenfenster eines jungen Gelehrten, der halb über einem Buche brütet, halb von seiner verstorbenen Geliebten träumt. Als das Fenster auf das schwirrende Anschlagen der Flügel des Vogels geöffnet wird, wählt dieser sich den geeignetsten Sitz, nicht gerade in unmittelbarer Nähe des jungen Gelehrten, der, sich über den Vorfall und über das seltsame Benehmen seines Gastes amüsierend, ihn scherzhaft, und ohne eine Antwort zu erwarten, nach seinem Namen frägt. Der angeredete Rabe spricht als Antwort sein gewöhnliches Wort: „Nimmermehr,“ – ein Wort, das sofort ein Echo in dem schwermuthvollen Herzen des jungen Gelehrten findet, der gewisse Gedanken, die der Vorfall in ihm wachruft, laut ausspricht, und über das wiederholte „Nimmermehr“ des Vogels abermals erstaunt. Er erräth jetzt freilich den Zusammenhang, wird jedoch, wie ich vorhin erklärte, durch den selbstquälerischen Trieb der menschlichen Natur und zum Theil auch durch Aberglauben veranlasst, dem Vogel solche Fragen vorzulegen, die ihm, dem Liebenden, durch die vorauszusehende Antwort: „Nimmermehr“ den intensivsten Reiz der Trauer bereiten werden. Damit, dass er sich dieser Selbstquälerei in extremster Weise hingiebt, hat die Erzählung in ihrer ersten oder alltäglichen Phase, wie