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ohne Bedenken vorsätzlich abgeschwächt, damit sie nicht den Steigerungseffekt beeinträchtigten.

Und hier ist wohl der geeignete Platz, einige Worte über den Versbau vorzubringen. Mein erstes Ziel (wie gewöhnlich) war Originalität. Der Grad, bis zu welchem man dieselbe beim Versbau vernachlässigt hat, ist eines der unerklärlichsten Dinge von der Welt. Zugegeben, dass der bloße Rhythmus geringer Abwechslung fähig sei, liegt es doch auf der Hand, dass die möglichen Abwechslungen des Versmaßes und der Strophenbildung geradezu unerschöpflich sind – und dennoch hat seit Jahrhunderten Niemand in Bezug auf den Versbau etwas Originelles geleistet, oder anscheinend je zu leisten gedacht. Die Wahrheit ist, dass Originalität (außer bei ganz ungewöhnlich begabten Menschen) keineswegs, wie Manche wähnen, eine Sache des Instinkts oder der Intuition ist. In der Regel muss sie, wenn man sie erreichen will, mühsam gesucht werden, und obschon sie ein positiver Vorzug höchsten Ranges ist, erfordert ihre Erlangung doch weniger Erfindungs- als Negierungskraft.

Selbstverständlich mache ich weder in Bezug auf den Rhythmus noch auf das Versmaß des „Raben“ einen Anspruch auf Originalität. Ersterer ist trochäisch – letzteres ist ein akatalektischer Oktameter, abwechselnd mit einem katalektischen Heptameter, der im fünften Verse refrainartig wiederholt wird, und endend mit einem katalektischen Tetrameter. Minder pedantisch ausgedrückt: – die überall angewandten Versfüße (Trochäen) bestehen aus einer langen Silbe, auf die eine kurze folgt; die erste Strophenzeile besteht aus acht solcher Füße, – die zweite aus sieben und einem halben (der Wirkung nach: sieben und zwei Drittel), – die dritte aus acht, – die vierte aus sieben und einem halben, – die fünfte eben so, – die sechste aus drei und einem halben. Nun ist jede dieser Zeilen, einzeln genommen, früher schon angewandt worden, und was „der Rabe“ an Originalität besitzt, verdankt