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und die Leidenschaft eine derbe Natürlichkeit (die von echter Leidenschaft Entflammten werden mich verstehen), welche durchaus jener Schönheit widerstreiten, die nach meiner festen Ansicht die Erregung oder angenehme Erhebung der Seele ist. Es folgt durchaus nicht aus irgend einem dieser Sätze, dass die Leidenschaft oder selbst die Wahrheit nicht in ein Gedicht eingeführt, und sogar mit Nutzen eingeführt werden mag – sie können ja zur Verdeutlichung dienen oder, wie Dissonanzen in der Musik, durch den Kontrast die allgemeine Wirkung verstärken – allein der echte Künstler wird immer darauf sinnen, sie erstlich dem vorherrschenden Zweck in genügender Art unterzuordnen, und sie zweitens so viel wie möglich mit jener Schönheit zu umkleiden, welche die Atmosphäre und das Wesen der Dichtung ist.

Indem ich also die Schönheit als mein Gebiet betrachtete, bezog sich meine nächste Frage auf den Ton ihrer edelsten Offenbarung – und alle Erfahrungen haben gelehrt, dass dieser Ton ein Ton der Wehmuth sei. Schönheit jeglicher Art in ihrer höchsten Entwicklung rührt unfehlbar das empfindsame Gemüth bis zu Thränen. Wehmuthvolle Trauer ist folglich der berechtigtste aller poetischen Töne.

Nachdem so die Länge, das Gebiet und der Ton festgestellt waren, schlug ich den Weg der üblichen Schlussfolgerung ein, um irgend eine künstlerische Pikanterie zu finden, die mir als Grundton bei der Konstruktion des Gedichtes dienen, – einen Zapfen, auf dem der ganze Bau sich drehen könne. Sorgfältig alle gewöhnlichen künstlerischen Wirkungen – oder richtiger: Effekte im Bühnensinne – überdenkend, konnte ich nicht umhin, sofort zu bemerken, dass keiner so allgemein angewandt worden wie der Effekt des Refrains. Die Allgemeinheit seiner Anwendung überzeugte mich genügend von seinem erheblichen Werthe und überhob mich der Nothwendigkeit, ihn einer Analyse zu unterwerfen. Ich betrachtete ihn jedoch mit Rücksicht auf seine weitere Ausbildungsfähigkeit,