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ins Gedächtnis zurückzurufen; und da das Interesse einer Analyse oder Rückerschaffung, wie ich sie als wünschenswerth bezeichnet habe, ganz unabhängig von dem wirklichen oder vermeintlichen Interesse an dem analysierten Gegenstande ist, wird man es mir nicht als unziemlich auslegen, wenn ich den modus operandi schildere, durch welchen dies oder jenes meiner eigenen Werke zu Stande kam. Ich wähle den „Raben“ als die bekannteste meiner Produktionen. Es ist mein Wunsch, dem Leser klar zu machen, dass keine Zeile dieses Gedichtes dem Zufall oder einer Intuition entsprungen ist, dass das Werk Stufe nach Stufe mit der Bestimmtheit und strengen Folgerichtigkeit eines mathematischen Problems seiner Vollendung zuschritt.

Lassen wir, als irrelevant für das Gedicht an sich, den Umstand, oder sagen wir: die Nothwendigkeit, außer Acht, welche zum Ersten die Absicht veranlasste, überhaupt ein Gedicht zu schreiben, das zugleich dem volksthümlichen und dem kritisch gebildeten Geschmack entspräche.

Wir beginnen also mit dieser Absicht.

Zuvörderst kam die Frage der Ausdehnung in Betracht. Ist ein schriftstellerisches Werk zu lang, als dass man es auf einmal zu Ende lesen kann, so müssen wir nothgedrungen auf die sehr erhebliche Wirkung verzichten, welche sich aus der Einheit des Eindrucks herleiten lässt; denn falls man die Lektüre in einer zweiten Sitzung beenden muss, treten die Angelegenheiten der Welt dazwischen, und jeder Totaleindruck wird von vornherein zerstört. Da jedoch, ceteris paribus, kein Dichter auf irgend Etwas verzichten kann, das seine Absicht zu fördern vermag, so wäre nur noch zu bedenken, ob etwa in der größeren Länge irgend ein Vortheil liegt, welcher den damit verbundenen Verlust der Einheit aufwöge. Hier antworte ich sofort: Nein. Was wir ein langes Gedicht nennen, ist in Wirklichkeit nur eine Reihenfolge mehrerer