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Walther Kabel: Leuchtturmtragödien. In: Das Buch für Alle, 47. Jahrgang, Heft 22, S. 494–495

in Eisenkonstruktion errichten lassen. Die Verankerung des Turmes machte wegen des felsigen Bodens viele Schwierigkeiten, gelang schließlich aber doch. Zu der Kommission, die das fertigte Bauwerk abnehmen sollte, gehörte auch der in die Dienste Mexikos übergetretene deutsche Ingenieur Rennhagen. Dieser erklärte nach sorgfältiger Prüfung der in den Fels eingelassenen eisernen Grundpfeiler, daß die Verankerung nicht, wie in dem Projekt vorgesehen, fünf Meter, sondern höchstens nur zweieinhalb Meter Tiefe besitze. Dieses unsoliden Unterbaues wegen liege die Befürchtung nahe, daß der Turm bei heftigem Seegang dem Anprall der Wogen nicht genügenden Widerstand leisten könne. Man beachtete diese Warnung jedoch nicht und setzte den Leuchtturm am 2. November 1872 in Betrieb. Die Besatzung bestand aus vier Männern, die sich vorläufig für ein Jahr als Wärter verpflichtet hatten. Eine Ablösung nach zwei bis vier Monaten, wie sie sonst bei der Besatzung von Leuchttürmen üblich ist, wurde nicht vorgesehen. Allerdings hatten die vier Männer auch insofern größere Bewegungsfreiheit, als der Turm während der Ebbe völlig auf trockenem Lande lag und den Leuten so die Möglichkeit gegeben war, wenigstens einige Stunden des Tages im Freien zuzubringen.

Fünf Monate gingen hin, ohne daß auf dem Leuchtturm von Tehuantepec etwas Auffallendes vorkam. Das einzige, worüber die Besatzung sich beklagte, war das Schwanken des Turmes, das sich besonders bei anhaltendem Sturm höchst unangenehm bemerkbar machen sollte, wie ein Bericht der Besatzung besagte. Die zuständige Behörde legte dieser Erscheinung, die in gewissem Grade bei allen freistehenden schlanken Bauwerken zu beobachten ist, keinerlei Bedeutung bei.

Dann trat am 14. März 1873 jene Katastrophe ein, die damals in der ganzen zivilisierten Welt ebenso großes Aufsehen wie tiefgehende Entrüstung hervorrief. Am Morgen jenes Tages tobte aus Nordost ein furchtbarer Orkan, der bis zum Mittag anhielt und von einer völligen Windstille abgelöst wurde. Um 1 Uhr mittags passierte der Hamburger Dreimaster „Konsul Hennings“ den Leuchtturm und ging in die offene, noch stark bewegte See hinaus. Eine halbe Stunde später bemerkten die Leuchtturmwärter, daß der Segler wendete und mit aller Kraft der Einfahrt des Golfes wieder zustrebte. Inzwischen war neuer Wind aus gerade entgegengesetzter Richtung, aus Südwest, aufgekommen, der sich bald zum Sturm verstärkte. Der Dreimaster ging in einer geschützten Bucht innerhalb des Golfes etwa eine Meile von dem Leuchtturm entfernt vor Anker, reffte alle Segel und wartete die durch das plötzliche Umspringen des Windes notwendig bedingte Sturmflut ab.

Der Kapitän dieses Schiffes hat später auf Veranlassung der mexikanischen Regierung vor dem Hamburger Seeamt über seine Beobachtungen an diesem Tage folgende eidliche Erklärung abgegeben: „Ich war, um mein Schiff vor der drohenden Sturmflut in Sicherheit zu bringen, bei den ersten Anzeichen des Südweststurmes umgekehrt und in der Bucht von Maria Cruz vor Anker gegangen. Um 3 Uhr nachmittags setzte, wie ich vorausgesehen hatte, die Sturmflut ein. Als mein erster Steuermann, der mit einem Glase die in den Golf hereinstürmenden haushohen Wogen verfolgte, mich darauf aufmerksam machte, daß der Leuchtturm auf der Spitze der Halbinsel in beängstigender Weise hin und her pendele, nahm ich gleichfalls mein Glas zur Hand und schaute nach dem Turme hinüber, der bis zur halben Höhe fast ständig von den Wellen eingehüllt war. Um 4 Uhr 15 Minuten konnte man deutlich bemerken, daß der Leuchtturm nach Nord hin vollständig schräg stand, sich also offenbar von seiner Verankerung gelöst hatte. Eine weitere Viertelstunde später knickte er dann urplötzlich um und verschwand in den hochgehenden Wogen. Als am folgenden Morgen der Sturm vorüber war und infolge abermaligen Umspringens des Windes nach Nord die Flut sich schnell verlief, tauchte der umgestürzte Turm langsam aus den Wassern wieder auf. Ich ließ gegen Mittag das Großboot aussetzen und nach der Unglücksstelle hinüberrudern. Es gelang uns, in den Turm hineinzukommen. In dem Maschinenraum fanden wir die Leichen der vier ertrunkenen Wärter, die aber, um erst das Eintreffen des Regierungsdampfers aus Tuxtla abzuwarten, unberührt blieben. Schon am Nachmittag war es möglich, den Platz, wo der Turm gestanden hatte, genauer zu besichtigen. Es ergab sich, daß die eisernen Grundpfeiler, die mit Blei in den Felsen eingegossen waren, sich sämtlich gelockert hatten und mindestens einen halben Meter durch das Pendeln des Turmes herausgezogen worden waren. Die Pfeiler an der Südseite hatten dann den ungeheuren Druck des Orkanes und der Wellen nicht ausgehalten und waren geborsten, so daß der Turm in der Windrichtung umknicken mußte.“


Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Leuchtturmtragödien. In: Das Buch für Alle, 47. Jahrgang, Heft 22, S. 494–495. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1912, Seite 495. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Leuchtturmtrag%C3%B6dien_(Heft_22,_494-495).pdf/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)