Seite:Lenau - dichterischer Nachlass, 1858.djvu/31

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
11

Die Wurzel holt aus selbstgegrabnen Schachten
Das Mark des Stamms und treibt es himmelwärts,
Ein rastlos Drängen, Schaffen, Schwellen, Trachten
In allen Adern; doch wo ist das Herz?

Don Juan.
Das Herz, in dem die Wesen alle gründen,
Der Born, worein sie sterbend alle münden,
Der Gott der Zeugung ist’s, der Herr der Welt,
Die er, nie satt, in seinen Armen hält.
Nie wird in langer Brautnacht: Weltgeschichte,
Des Gottes Kraft, des Weibes Reiz zu nichte;
Des Lebens Jubeln – ist sein Wonnestöhnen,
Wenn seine Küsse brennen auf der Schönen
Und ihre Blicke heiß die Nacht durchschimmern;
Des Todes Schmerz – der Braut jungfräulich Wimmern. –
Wenn ich des Weibes Blume mir gebrochen,
War ich sein Hauch und seines Herzens Pochen. –
Sieh hier das Kloster, rings vom Wald umschlossen,
Dies Glöcklein ruft zur Hora die Genossen.
Schon ist der Psalmen düstrer Klang zu hören;
Hörst du den wilden Hirsch im Walde röhren?

Empfohlene Zitierweise:
Nicolaus Lenau: Nicolaus Lenau's dichterischer Nachlaß. J. G. Cotta, Stuttgart und Augsburg 1858, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lenau_-_dichterischer_Nachlass,_1858.djvu/31&oldid=- (Version vom 27.11.2022)