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einem Individuum, namens Saint-Germain, den ich in Rouen kennen gelernt hatte, wo er wie viele andere vorübergehend den Ruf eines ehrlichen Mannes genoß. Saint-Germain, für den ich der Kaufmann Blondel war, war über die Begegnung ziemlich erstaunt, aber zwei Worte von Blondy genügten, um ihm den Schlüssel zu der Geschichte zu geben: an Stelle der Verwunderung trat Zutraulichkeit, und Saint-Germains Gesicht, der bei meinem Anblick zuerst die Stirn runzelte, heiterte sich wieder auf.

Blondy erzählte, daß sie alle drei in die Umgegend von Senlis reisen wollten und bat mich, ihnen den Korbwagen zu leihen, mit dem ich auf die Märkte zu fahren pflegte. Ich war glücklich, auf diese Weise die Brüder loszuwerden und beeilte mich, ihnen einen Zettel an den Mann zu geben, bei dem der Wagen untergestellt war. Das Fuhrwerk mitsamt dem Geschirr wurde ihnen übergeben, und sie fuhren ab. Zehn Tage lang blieb ich ohne Nachricht von ihnen. Eines Morgens tauchte endlich Saint-Germain bei mir auf. Er sah sehr verstört aus und schien todmüde zu sein.

„So,“ sagte er zu mir, „unsere Freunde sind verhaftet.“

„Verhaftet!“ rief ich im Übermaß einer Freude, die ich nicht bemeistern konnte, aber ich faßte mich bald wieder und fragte mit geheuchelter Teilnahme nach den näheren Umständen. Saint-Germain erzählte nur kurz, Blondy und Duluc seien nur deshalb verhaftet, weil sie ohne Papiere reisten. Ich glaubte ihm kein Wort und zweifelte keinen Augenblick daran, daß sie irgendeinen Streich ausgeführt hätten. Was mich in meinem Verdacht bestärkte, war der Umstand, daß auf meinen Vorschlag, ihnen Geld zu schicken, Saint-Germain mir erwiderte, sie brauchten keines. Bei der Abreise von Paris besaßen sie alle drei fünfzig Franken; mit dieser bescheidenen Summe hätten sie wohl kaum Ersparnisse machen können. Wie reimte sich das damit, daß sie kein Geld brauchten? Der erste Gedanke, der mir in den Kopf kam, war, daß sie einen beträchtlichen Diebstahl

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_289.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)