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Ohne mir eine Antwort zu geben, ging er aus dem Zimmer und ließ mich allein; ich begriff dieses edelmütige Schweigen. Eine Viertelstunde darauf hatte ich Auxerre aus dem Gesicht verloren und schrieb aus meinem neuen Zufluchtsort an Annette von dieser neuen Katastrophe.

Ich hatte nun keinen Paß mehr, der mich in den Gegenden, die ich gewöhnlich besuchte, hätte schützen können; und in fremden Gegenden konnte mein unerwartetes Auftauchen nur zu leicht Verdacht erwecken. Die Lage wurde kritisch. Was sollte ich anfangen? Ich beschäftigte mich einzig und allein mit dieser Frage, als ich durch Zufall die Bekanntschaft eines Kleiderhändlers in dem Quartier Saint-Martin machte. Er wollte sein Geschäft verkaufen. Ich trat mit ihm in Verhandlungen: ich war überzeugt, daß ich nirgends mehr in Sicherheit war, als im Herzen der Großstadt, wo es so leicht ist, sich in der Menge zu verlieren. In der Tat, beinahe acht Monate verstrichen, ohne daß etwas die Ruhe störte, die ich mit Annette und meiner Mutter genoß. Mein Geschäft ging gut: es vergrößerte sich von Tag zu Tag. Ich beschränkte mich nicht mehr, wie mein Vorgänger, auf die Anfertigung von Kleidern, ich verkaufte auch Stoffe, und ich war vielleicht auf dem besten Wege zum Wohlstand, als eines schönen Morgens mein Unglück von neuem begann.

Ich befand mich gerade in meinem Laden. Ein Bote tritt ein und sagt mir, ich würde in einer Speisewirtschaft in der Rue Aumaire erwartet. Ich nehme an, es handele sich um irgendwelche Geschäftsangelegenheiten und begebe mich sofort hin. Man führt mich in ein Zimmer, und dort finde ich zwei Flüchtlinge aus dem Zuchthaus zu Brest: der eine von ihnen war Blondy, der den unglückseligen Ausbruch aus Pont-à-Luzon leitete.

„Wir sind seit zehn Tagen hier,“ sagt er zu mir, „und haben keinen Heller. Gestern haben wir dich in deinem Laden gesehen. Wir hörten, das Geschäft gehöre dir; das hat mich gefreut, ich habe es meinem Freunde gesagt … Nun sind wir gut aufgehoben,

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_283.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)