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Hauptmanns, mit dem ich befreundet war, wohnte. Da besorgte ich mir auch eine Uniform.

Es war klar, daß nur Paris mir eine Zuflucht bieten konnte. In Paris nahm mich meine Mutter auf, die bis dahin in Versailles gelebt hatte. Wir wohnten zusammen einige Monate in der Vorstadt Saint-Denis, wo wir niemanden sahen, mit Ausnahme eines Juweliers Jacquelin, den ich bis zu einem gewissen Grade in mein Vertrauen ziehen mußte, denn er hatte mich in Rouen unter dem Namen Blondel gekannt. Bei diesem Jacquelin lernte ich auch eine Frau von B. kennen, die in meinem Herzen die erste Stelle einnimmt. Frau von B., oder Annette, wie ich sie nannte, war eine ziemlich hübsche Dame, die von ihrem Manne in der Folge seiner ganz üblen Affären verlassen worden war. Er war nach Holland geflüchtet und hatte seit langem nichts mehr von sich hören lassen. Annette war also frei; sie gefiel mir, ich liebte ihren Geist, ihre Intelligenz, ihr gutes Herz. Ich wagte es, ihr das zu sagen, sie nahm meine Erklärung nicht ungünstig auf, und bald konnten wir nicht mehr ohne einander existieren. Annette bezog mit mir eine gemeinsame Wohnung, und da ich das Gewerbe eines fahrenden Händlers wieder aufnahm, so wurde beschlossen, daß sie mich in meinen Reisen begleiten würde. Die erste Reise, die wir gemeinsam machten, war eine der glücklichsten. Aber in dem Moment, als ich Melun verlassen wollte, sagte mir der Gastwirt, bei dem ich abgestiegen war, daß der Polizeikommissar bedauert habe, nicht meine Papiere gesehen zu haben, aber – aufgeschoben sei nicht aufgehoben: bei meiner nächsten Durchreise wollte er mir einen Besuch abstatten. Diese Nachricht machte mich stutzig; ich mußte also schon als verdächtig bezeichnet sein. Weiterreisen – das hieße, mich noch mehr kompromittieren: ich kehrte sofort nach Paris zurück und nahm mir vor, nicht eher eine weitere Exkursion zu unternehmen, bis ich mir Papiere besorgt haben würde.

Eines Tages, als ich in Auxerre handelte und ruhigt am Hafen promenierte, begegnete ich einem gewissen Paquay, einem professionellen

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_279.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)