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einer so kleinen Stadt ein so seltsames Gemisch von Arrestanten. Ich war wohl der einzige, der Fluchtpläne schmiedete, aber ich ließ mir nichts merken und heuchelte die Sorglosigkeit selbst, so daß man glauben konnte, das Gefängnis sei mein eigentliches Element, und jeder war überzeugt, ich fühle mich wie der Fisch im Wasser. Ich betrank mich jedoch nur ein einziges Mal. In der Nacht, als alle schnarchten, verspürte ich gegen zwei Uhr einen höllischen Durst, als ob ich Feuer im Leibe hätte. Ich stehe auf und gehe noch ganz schlaftrunken ans Fenster. Ich will trinken. Verdammter Irrtum! anstatt in den Wasserkrug tauche ich mein Gefäß in den Ausgußzuber. Ich bin wie vergiftet. Bis zum Tagesanbruch hatte ich die furchtbarsten Magenkrämpfe. Da kommt ein Wächter und ruft die Gefangenen zum Frondienst. Ich benutze die Gelegenheit, frische Luft zu schöpfen, – vielleicht wird es meine Schmerzen etwas erleichtern. Ich erbiete mich, an Stelle eines Seeräubers zu arbeiten, dessen Kleider ich anziehe. Im Hofe begegne ich einem Unteroffizier, den ich kenne, mit dem Mantel über dem Arm. Er erzählt mir, daß er Lärm im Theater gemacht habe und zu einem Monat Gefängnis verurteilt sei; nun komme er, um sich selbst einzusperren.

„In diesem Fall,“ sagte ich zu ihm, „kannst du deinen Dienst gleich antreten. Da ist der Eimer.“

Der Unteroffizier war damit einverstanden, und während er sich an die Arbeit machte, ging ich keck an der Schildwache vorbei, die meiner nicht achtete.

Kaum war ich außerhalb des Gefängnisses, so lief ich querfeldein und hielt erst an der Brücke von Brique, in einer kleinen Schlucht, an, um einen Augenblick über meine Lage nachzudenken. Zuerst hatte ich die Idee, nach Calais zurückzukehren, aber mein böser Stern bewog mich, nach Arras zu gehen. Noch am selben Abend schlief ich in einer Hütte, die ein Unterkunftsort der Fischer war.

Ohne Zwischenfälle kam ich nach Béthune; ich wollte bei einem

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_274.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)