Seite:Landstreicherleben 252.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

hatten ihn aufgegeben, die Gewißheit seines nahen Endes brachte ihn auf einen seltsamen Entschluß.

„Ich wollte nun einmal nicht in meinem Bette sterben,“ erzählte er mir später. „Für mich gab es nur eine Wahrheit: nur der stirbt, wer stillhält! Und um nicht stillzuhalten, stürzte ich mich in eine Laufbahn, wo es ohne allzu anstrengende Arbeit, Tätigkeit aller Art gibt. Da ich überzeugt war, daß ich nicht mehr lange zu leben hatte, beschloß ich, den kleinen Rest meines Lebens noch gut auszunutzen. Und so wurde ich Seeräuber. Was riskierte ich dabei? Ich konnte höchstens getötet werden – dabei verlor ich herzlich wenig! Und bis es soweit war, hatte ich alles, wonach ich begehrte: Aufregungen aller Art, Gefahren, Vergnügen – ich hielt nicht still! …“

Ich erwartete mit Ungeduld unsere Einschiffung. Die Fünffrankstücke des Reeders waren gezählt. Wenn ich auch davon leben konnte, so ließ sich doch gewiß kein Staat damit machen. Zudem mußte ich, solange ich auf dem Festlande war, allerlei Begegnungen befürchten: Boulogne war zu jener Zeit mit Gesindel jeder Art überfüllt. Darunter konnten nur zu leicht auch einige Bagnoflüchtlinge sein; ich fürchtete, erkannt zu werden, und meine Besorgnisse waren um so begründeter, da ich hörte, einige freigelassene Bagnosträflinge seien bei den Sappeuren und in den Marinewerkstätten aufgenommen worden. Seit einiger Zeit sprach man von nichts anderem, als von Raub und Mord und Diebstahl; alle diese Verbrechen ließen auf das Werk sehr geübter Spitzbuben schließen; vielleicht befanden sich unter den Banditen einige, mit denen ich in Toulon zu tun hatte. Mir lag viel daran, ihnen aus dem Wege zu gehen, denn in dem Moment, wo ich wieder mit ihnen in Berührung kam, war ich sofort wieder in einer bösen Situation. Bekanntlich sind die Diebe wie die Huren: wenn man ihrer Gesellschaft und ihren Lastern zu entrinnen sucht, verschwören sich alle gegen einen; alle rechnen es sich gewissermaßen zum Ruhme an, den Betreffenden in dem verabscheuungswürdigsten Zustand zu halten, den sie

Empfohlene Zitierweise:
Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_252.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)