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bäuerlichen Kleidung für einen reichen Landmann hätte halten können. Ich wurde ihm vorgestellt.

„Es freut mich, Sie zu sehen,“ sagte er zu mir, „man hat mir von Ihrem Mut erzählt. Wenn Sie die Gefahren mit uns teilen wollen, so werden Sie bei uns Freundschaft und Freiheit finden. Wir kennen Sie nicht, aber ein Mann von Ihrem Aussehen findet überall Freunde. Alle anständigen mutigen Leute halten zu uns, denn wir geben ebensoviel auf Rechtschaffenheit wie auf Mut.“

Die beiden Brüder Bisson und darauf alle anderen gaben mir den Bruderkuß. So war ich in dieser Gesellschaft aufgenommen; ihr Anführer legte ihr einen politischen Zweck bei. In Wirklichkeit aber ließ Roman anfangs nur die Postwagen mit den Staatsgeldern anhalten, dann aber auch die Reisenden ausplündern.

Am Tage nach meiner Ankunft schickte mich Roman mit sechs anderen Männern in die Gegend von Saint-Maximin. Ich wußte nicht, um was es sich handeln würde. Gegen Mitternacht gelangten wir an den Saum eines Wäldchens, das die Landstraße durchschnitt, und legten uns in einem Graben in Hinterhalt. Romans Leutnant, Bisson von Tretz, befielt tiefstes Stillschweigen. Bald vernehmen wir das Gerassel eines Wagens. Er fährt an uns vorbei. Bisson streckt behutsam den Kopf hervor.

„Das ist der Postwagen aus Nizza,“ sagt er … „aber hier ist nichts zu machen, da sind mehr Dragoner drin, als Warenballen.“

Er gab den Befehl zum Rückzug, und wir kehrten in das Bauernhaus zurück. Als Roman uns mit leeren Händen ankommen sah, rief er mit einem Fluch: „Morgen soll es ihm aber heimgezahlt werden!“

Ich konnte mir also über die Gesellschaft, unter der ich lebte, keine Illusionen mehr machen: ich befand mich unter den Wegelagerern, die die ganze Provence unsicher machten. Wenn ich

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_201.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)