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Außer einer furchtbaren Bastonade – die zwei Sträflinge erhielten, weil sie in Beaume zu flüchten versuchten – begegnete uns nichts Außergewöhnliches bis Châlons. Hier wurden wir auf ein großes, mit Stroh beladenes Schiff gebracht, das ganz mit dichtem Segeltuch überdacht war. Hob ein Sträfling einen Zipfel des Tuches in die Höhe, um einen Blick auf die Landschaft zu werfen oder um Luft zu schöpfen, so regnete es Stockschläge auf seinen Rücken. Als wir uns der Insel Barbe näherten, sagte Jossas zu mir:

„Hier sollst du wieder etwas erleben.“

Ich erblickte am Kai der Saône einen eleganten Wagen, der auf die Ankunft unseres Schiffes zu warten schien. Kaum war das Schiff in Sicht, so streckte eine Frau den Kopf aus dem Schlage und schwenkte ein weißes Taschentuch. „Sie ist's,“ sagte Jossas und erwiderte das Zeichen.

Als das Schiff angelegt hatte, stieg die Dame aus dem Wagen und mischte sich unter den Haufen der Zuschauer. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, denn sie war tief verschleiert. Sie blieb von vier Uhr nachmittags bis zum Abend da. Als die Menge sich verlaufen hatte, schickte Jossas den Leutnant zu ihr herüber und dieser kam bald mit einer Wurst zurück, in der fünfzig Louisdore versteckt waren. Ich erfuhr, daß Jossas das Herz dieser Dame als Marquis gewonnen hatte. Er hatte ihr durch einen Brief seine Verurteilung mitgeteilt, wahrscheinlich hat er sie diesmal ebenso erklärt wie dem Gastwirt von Sens. Diese Art von Intrigen kommt heute selten vor, zu jener Zeit war sie infolge der Revolutionszerrüttung und der sozialen Desorganisation gang und gäbe. Die verschleierte Dame kam am nächsten Tag wieder und blieb bis zum Augenblick unserer Abfahrt da. Jossas war entzückt: er hatte nicht nur seine Finanzen aufgebessert, sondern wußte nun auch eine Zuflucht für den Fall, daß er flüchten würde.

Wir waren beinahe am Ziel unserer Fahrt, als wir zwei Meilen vor Pont-Saint-Esprit von einem der auf der Rhône

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_181.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)