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war unter doppeltem Schloß in der Wand eingemauert, so daß an sein Erbrechen nicht gedacht werden konnte; außerdem trug der Kassierer den Kassenschlüssel stets bei sich. Aber all diese Hindernisse schreckten Jossas nicht ab. Er freundete sich mit dem Kassierer an und schlug ihm eines Tages vor, einen Ausflug nach Collondes zu machen. Sie fuhren im Kabriolett ab. In der Nähe von Saint-Rambert erblickten sie an einer Böschung eine Frau, der aus Mund und Nase Ströme von Blut flossen; an ihrer Seite stand ein Mann, der sich nicht zu helfen wußte. Jossas spielte den Gefühllosen. Er sagte, um das Blut zu stillen, genüge es, der Kranken einen Schlüssel auf den Rücken zu legen. Aber niemand hatte Schlüssel bei sich mit Ausnahme des Kassierers. Er gab zuerst seinen Hausschlüssel her, der genügte nicht. Ganz entsetzt über die Blutströme bot der Kassierer schließlich auch den Kassenschlüssel hin, den man mit viel Erfolg der Patientin auf das Kreuz legte. Es ist leicht zu erraten, daß sich da eine Wachsplatte befand. Die ganze Szene war abgekartet. Drei Tage danach war die Kasse leer.

Wie ich bereits sagte, spielte Jossas den großen Herrn und ging mit dem Gelde höchst verschwenderisch um. Er war außerordentlich mildtätig, und ich könnte von ihm Züge eines grotesken Edelmutes berichten, die zu prüfen ich den Moralisten überlasse. Eines Tages drang er in eine Wohnung in der Rue du Hazard, wo, wie man sagte, gute Beute zu machen war. Die Schäbigkeit des Mobiliars verblüffte ihn – aber vielleicht war der Eigentümer der Wohnung ein Geizhals? Er sucht weiter, wühlt alles durcheinander, bricht alles auf und und findet im Geldschrank nichts als ein Bündel Versatzscheine vom Leihhaus … Da holt er aus der Tasche fünf Louisdore, legt sie auf den Kamin, schreibt auf einen Zettel: „Ersatz für die verdorbenen Möbel“ und zieht sich zurück, indem er sorgfältig die Türen hinter sich abschließt, damit andere, weniger rücksichtsvolle Diebe das von ihm Verschonte nicht wegstibitzen.

Die Reise nach Bicêtre, die Jossas mit uns machte, war für

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben. , München 1920, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_179.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)