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Dreizehntes Kapitel


Das Schiff der Sträflinge


Es verstrichen acht Tage, während deren ich den Rekrutierungskommissar nur ein einziges Mal sah. Dann wurde ich mit einem Transport von Arrestanten und Deserteuren nach Lille befördert. Es war sehr zu befürchten, daß ich in dieser Stadt, in der ich schon so oft gewesen war, erkannt würde. Kaum erfuhr ich, daß wir dorthin gebracht würden, so ergriff ich solche Vorsichtsmaßregeln, daß selbst die Gendarmen, die mich früher transportiert hatten, mich nicht wiedererkannt hatten. Ich bedeckte mein Gesicht mit einer dicken Schicht von Schmutz und Ruß, und blies meine Backen so auf, daß ich einem jener Posaunenengel auf den Kirchenfresken glich, die zum jüngsten Gericht trompeten.

So zugerichtet kam ich ins Militärgefängnis „Égalité“ an, wo ich einige Tage bleiben sollte. Um die Langeweile der Haft zu verkürzen, riskierte ich es ein paarmal, in die Kantine zu gehen: ich hoffte dadurch irgendeine Möglichkeit zur Flucht zu finden. Das Zusammentreffen mit einem Matrosen, den ich von der „Barras“ her kannte, schien mir eine günstige Vorbedeutung zur Ausführung meines Vorhabens zu sein. Nach beendeter Mahlzeit zog ich mich auf meine Zelle zurück. Ich mochte dort etwa drei Stunden verbracht haben, in Nachdenken versunken, wie ich die Freiheit erlangen könnte, als der Matrose bei mir eintrat und mich aufforderte, mit ihm das Mittagessen zu verzehren, das ihm seine Frau gerade gebracht hatte.

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_174.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)