Seite:Landstreicherleben 117.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

hörten. In zehn Tagen und zehn Nächten waren wir sechs Fuß vorgedrungen, – das Klopfen des Schusters kam immer näher. Am elften Tage, morgens, schob ich einen Backstein beiseite und sah das Tageslicht. Das Licht kam von einem Fenster, das auf die Straße ging und den Kaninchenstall des Pförtners beleuchtete; der Stall grenzte an unseren Kerker.

Diese Entdeckung verlieh uns neue Kräfte. Als die Abendkontrolle vorbei war, schafften wir alle bereits losgelösten Steine aus dem Loch; das können etwa zwei Wagen voll gewesen sein. Wir legten die Steine vor die Tür, die nach innen aufging, so daß die Tür verbarrikadiert wurde. Dann machten wir uns mit so viel Eifer an die Arbeit, daß wir bei Tagesanbruch ein Loch von sechs Fuß Tiefe hatten, das nur noch zwei Fuß von seinem Ziel entfernt war. Aber, da kam auch schon der Wärter mit den Rationen. Als die Tür nicht aufgehen wollte, schaute er durch das Guckloch und erblickte zu seiner maßlosen Verwunderung den Steinhaufen. Er forderte uns auf, zu öffnen, wir weigerten uns. Die Wache kam, dann der Gefängnisinspektor, dann der Staatsanwalt, dann die Munizipaloffiziere in ihren dreifarbigen Bändern. Man unterhandelte, währenddessen arbeitete einer von uns immer weiter am Loch. Wir hätten vielleicht entweichen können, bevor die Tür erbrochen wurde, wenn nicht ein unvorhergesehenes Ereignis uns die letzte Hoffnung genommen hätte.

Als die Frau des Pförtners ihren Kaninchen Futter brachte, bemerkte sie auf dem Fußboden frisch herabgefallenen Schutt. Im Gefängnis ist nichts ohne Belang. Sie sah sich sorgfältig die Mauer an und, obwohl die letzten Backsteine wieder auf ihren Platz gestellt waren, um das Loch zu verdecken, bemerkte sie, daß sie locker waren. Sie ruft um Hilfe, die Wache eilt herbei, mit einem Kolbenstoß werden die Backsteine auseinandergerissen, und wir sind geliefert. Von zwei Stellen ruft man uns zu, daß wir uns ergeben müßten, sonst würde man feuern. Wir weigern uns immer noch. So viel Erbitterung setzt die

Empfohlene Zitierweise:
Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_117.jpg&oldid=- (Version vom 22.6.2019)