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Sechstes Kapitel


Zinnerne Schlüssel


Ich fand im „Kleinen Hotel“, wie wir das Gefängnis nannten, den größten Teil der Gefangenen wieder, welche ich vor meiner Entweichung hatte in Freiheit setzen sehen. Einige hatten sozusagen nur einen kleinen Ausflug gemacht. Sie waren unter der Beschuldigung neuer Verbrechen und neuer Vergehen verhaftet worden. Auf den Ruf hin, den mir meine verschiedenen Entweichungen eingebracht hatten, behandelten mich diese Menschen als einen Mann, auf den man sich verlassen könnte. Ich andererseits konnte mich nun auch nicht von ihnen fernhalten.

Ich saß in einer Zelle im zweiten Stock, zusammen mit einem gewissen Duhamel. Für sechs Frank verschaffte uns der Gefangene, der die Dienste des Schließers versah, zwei Sägen, einen Meißel und zwei Zangen. Wir hatten zinnerne Löffel: wahrscheinlich wußte der Gefängniswächter nicht, welchen Gebrauch die Gefangenen davon machen können. Ich wußte, daß der Schlüssel für alle Zellen auf unserer Etage derselbe war; nun machte ich mir aus einer großen Mohrrübe ein Modell des Schlüssels, dann verfertigte ich aus weichem Brot und Kartoffeln eine Gießform. Wir brauchten Feuer; dies verschafften wir uns, indem wir uns aus einem Stück Speck und den aus einer baumwollenen Mütze gemachten Dochten eine Lampe herstellten. Endlich wurde der Schlüssel in Zinn gegossen;

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_105.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)