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zu meinem Vater zu bringen, der nicht weit von hier wohne. Aber sie antworteten mir, ich würde mich dadurch nur in gefährlicher Weise öffentlich zeigen, und ich solle doch noch lieber einige Tage warten, bis ich wiederhergestellt sei. Um allen Verdacht zu entfernen, willigte ich ein, und es wurde sogar beschlossen, mich für einen Verwandten auszugeben, der zu Besuch gekommen sei. Überdies kümmerte sich niemand um mich.

Dieses Land mußte ich endlich verlassen; ich wollte nach Holland gehen, aber dazu brauchte ich Geld. Nach vierzehn Tagen entschloß ich mich endlich, einige Worte an Francine zu schreiben. Die Beförderung dieses Briefes trug ich meinem Wirt auf. Er führte seine Botschaft ausgezeichnet aus, und kam am Abend mit hundertzwanzig Franken in Gold zurück. Am anderen Tage verabschiedete ich mich von meinem Wirt; seine Forderung für die Kosten, die ich ihm verursacht hatte, war unglaublich bescheiden.

Sechs Tage später war ich in Ostende. Meine Absicht war, wie bei meiner ersten Reise nach Ostende, nach Amerika oder Indien zu fahren. Aber ich fand nur dänische oder hamburgische Kapitäne, die sich weigerten, mich ohne Paß aufzunehmen. Unterdessen schmolz das bißchen Geld, das ich von Lille mitgebracht hatte, zusehends zusammen, und ich mußte mich nächstens in einer Lage befinden, mit der man sich ja mehr oder weniger vertraut machen kann, die aber trotzdem sehr unangenehm ist. Das Geld verleiht gewiß weder Genie, noch Talent, noch Intelligenz; aber die Geistesruhe, die sichere Haltung, die es hervorbringt, ergänzen alle diese Eigenschaften, während dieselben Fähigkeiten bei vielen Menschen oft durch den Mangel an äußerer Haltung neutralisiert sind. Daher kommt es, daß gerade in dem Moment, wo man alle Mittel seines Geistes am nötigsten hätte, um sich Geld zu verschaffen, man sich durch den Mangel an Geld gerade dieser Mittel beraubt sieht. Eben in der Lage war ich nun; aber ich mußte zu Mittag essen, ein Unternehmen, das oft schwerer ist, als die mit Glücksgütern Bedachten dieses

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_098.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)