Seite:Landstreicherleben 085.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Einige Gefangene, die mich darin sahen, versicherten mir, in dieser Verkleidung müsse jeder getäuscht werden. Überdies hatte ich noch denselben Wuchs wie der Offizier, dessen Rolle ich spielen wollte, und die Kunst, mein Gesicht in Falten zu legen, machte mich um fünfundzwanzig Jahre älter. Nach einigen Tagen macht der Offizier seinen üblichen Besuch. Während einer meiner Freunde ihn unter einem nichtigen Vorwand beschäftigt, kleide ich mich in aller Eile um und gehe zum Tor: Der Torwächter zieht die Mütze ab, öffnet und ich befinde mich auf der Straße. Ich eile sogleich zu einer Freundin von Francine, zu der ich mich verabredetermaßen, falls meine Flucht gelingen sollte, zu begeben hatte, und bald kommt Francine selbst zu mir.

Ich wäre hier in völliger Sicherheit gewesen, wenn ich mich streng verborgen gehalten hätte, aber wie sollte ich eine Sklaverei ertragen, die beinah ebenso hart war wie die Einsperrung im Gefängnis. Drei Monate war ich gefangen gewesen, nun drängte es mich wieder, eine Aktivität zu entwickeln, die ich so lange hatte zurückhalten müssen. Ein erster Ausflug glückte mir auch. Aber am anderen Tag in dem Moment, da ich gerade eine Straße überschreite, kommt mir ein Polizist namens Louis entgegen, der mich während meiner Haft mehrmals gesehen hatte, und fragte mich, ob ich frei sei. Er galt für einen Mann von rücksichtsloser Handlungsweise; übrigens konnte er hier im Moment mit einer einzigen Gebärde zwanzig Personen auf einmal um uns versammeln … So sagte ich also, ich sei bereit, ihm zu folgen, aber ich bat ihn, er möge mich doch meiner Mätresse adieu sagen zu lassen. Er willigt ein und wir begeben uns wirklich zu Francine, die furchtbar überrascht ist, mich in solcher Gesellschaft zu sehen: Ich sage ihr, ich hätte mir’s überlegt, meine Flucht könne mir in den Augen der Richter nur schaden, und ich sei entschlossen, ins Gefängnis zurückzukehren. Francine hielt mich zuerst für verrückt. Aber ein Zeichen von mir klärte sie auf, und ich fand sogar die Möglichkeit, ihr zu

Empfohlene Zitierweise:
Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_085.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)