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Kamerad versicherte mir, daß er erst wieder herauskommen würde, wenn er irgendeine der Preziosen eskamotiert habe, die er nun vom Juwelier sich vorlegen lasse. Wir verließen darauf unseren Beobachtungsposten, um zusammen essen zu gehen. Gegen das Ende der Mahlzeit sah ich meinen Tischgenossen zum Plaudern aufgelegt, und ich drang in ihn, mir genau zu sagen, wer die Leute seien, die er mir gezeigt habe; ich versicherte, trotzdem der Schein gegen mich sei, kenne ich sie nur sehr flüchtig. Endlich entschloß er sich zu reden:

„Vor einigen Jahren saß ich einige Monate im Gefängnis (Rasphuys) von Gent; dort lernte ich einige Mitglieder der Bande kennen, die wir hier eben in Mecheln getroffen haben; wir waren damals Zellengenossen. Da man mich für einen ausgelernten Dieb hielt, so besprach man ohne Mißtrauen alle Kunstgriffe, und ich bekam alle möglichen Aufklärungen über ihr sonderbares Leben. Diese Leute kommen aus Gegenden an der Moldau, wo hundertfünzigtausend von ihnen vegetieren wie die Juden in Polen, ohne daß sie je eine andere Stellung dort annehmen können, als die des Henkers. Ihr Name wechselt mit den Ländern, die sie durchstreifen. In Deutschland heißen sie Zigeuner, in England Gypsies, das heißt Ägypter, in Italien Zingari, Gitanos in Spanien und Bohémiens in Frankreich und Belgien. Sie durchziehen ganz Europa und üben die bösartigsten und gefährlichsten Gewerbe aus. Man sieht sie Hunde scheren, wahrsagen, Kessel flicken, zerbrochenes Geschirr wieder ganz machen; vor den Kneipentüren machen sie eine abscheuliche Musik, sie handeln mit Hasenfellen, wechseln fremdes Geld, das außer Kurs geraten ist.

Sie verkaufen auch Arzeneien gegen die Krankheiten der Tiere; und, um mehr Kundschaft zu kriegen, schicken sie vorher einen Genossen in die Bauernhöfe, der unter dem Vorwande, Einkäufe zu machen, sich in die Ställe schleichen muß und Drogen ins Futter wirft, von denen die Tiere krank werden. Dann kommen sie mit ihren Heilmitteln und werden mit offenen Armen aufgenommen:

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_080.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)