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sie sah Gesellschaft bei sich und es hätte leicht sein können, daß wir bei ihr jemanden trafen, der unsere kleinen Schwindeleien entdeckte. Aber die Baronin bestand darauf, und so fügte ich mich; nur bezeugte ich den Wunsch, daß der General, der eine Art Inkognito wahren wolle, in ganz kleinem Kreise empfangen würde. Er kam also eines Tages: Die Baronin, die ihn neben sich setzte, ließ ihm eine so vorzügliche Aufnahme zuteil werden, und sprach so lange zu ihm mit leiser Stimme, daß ich ganz geärgert wurde. Um dieses Tete-a-tete zu stören, kam ich auf die Idee, den General aufzufordern, er solle uns doch etwas singen und sich am Klavier dazu begleiten. Ich wußte sehr genau, daß er außerstande war, auch nur eine einzige Note zu lesen, aber ich rechnete auf die üblichen Bitten der Gesellschaft, um ihn wenigstens während einiger Augenblicke zu beschäftigen. Aber mein Kunstgriff gelang nur halb: Der Oberstleutnant, der mit dabei war, sah, daß man den General drängte, und so erbot er sich dienstfertig, ihn zu ersetzen. Und wirklich setzte er sich auch ans Klavier und sang einige Stücke mit ziemlich viel Geschmack, so daß er das Lob aller davontrug – während ich ihn zu allen Teufeln wünschte.

Aber endlich kam auch diese endlose Soiree zu einem Schluß und jeder begab sich nach Hause; in meinem Kopfe wälzte ich Rachepläne gegen meinen Rivalen, der mir, ich will nicht sagen die Liebe, aber doch die Aufmerksamkeiten der Baronin entzogen hatte. Ganz befangen in dieser Idee begab ich mich am anderen Tage gleich nach dem Aufstehen zu dem General; er war recht erstaunt darüber, mich so früh zu sehen. „Weißt du,“ sagte er mir, ohne mir Zeit zu lassen, das Gespräch anzuknüpfen, „weißt du, mein Freund, was die Baronin ist … –“ „Wer spricht von der Baronin?“ unterbrach ich ihn brüsk, „hier handelt es sich nicht darum, was sie ist oder nicht ist.“ – „Um so schlimmer,“ entgegnete er. „Wenn du mit mir nicht von ihr sprechen willst, dann habe ich dir nichts zu sagen.“ So fuhr er noch einige Zeit fort, mich zu reizen, bis er mir schließlich mitteilte,

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_061.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)