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das war die Ernennung von Auffray, unserem Oberstleutnant, zum Brigadegeneral. Und wenn nun auch die Wichtigkeit des Ranges und die Art von öffentlicher Stellung, die man durch so eine Veränderung erhält, den Betrug viel schwerer aufrechterhalten ließen, so war es gerade eine Kühnheit des Wagnisses, die schließlich jeden Verdacht beseitigte.

Als wir wieder in Brüssel waren, ließen wir uns unsere Quartierscheine aushändigen, und ich kam zu einer reichen Witwe ins Quartier, der Frau Baronin von J… Man nahm mich auf, wie man zu jener Zeit die Franzosen in Brüssel aufnahm, das heißt mit offenen Armen. Ein sehr schönes Zimmer wurde mir vollkommen zur Verfügung gestellt, und meine Wirtin, die entzückt über meine Zurückhaltung war, gab mir auf die liebenswürdigste Art zu verstehen, daß, wenn die Stunden ihrer Mahlzeit mir paßten, auch jedesmal ein Gedeck für mich aufgelegt sei. Ich konnte unmöglich so verbindlichen Anerbietungen widerstehen; ich erschöpfte mich in Danksagungen, und noch am selben Tage mußte ich beim Diner erscheinen; an der Tafel saßen außer der Baronin – die vielleicht eben Fünfzigerin geworden war – noch drei alte Damen. Diese Gesellschaft war entzückt über die zuvorkommenden Manieren des Husarenhauptmanns. In Paris hätte man in einer solchen Gesellschaft sicher gemerkt, daß ich mich etwas linkisch benahm; aber in Brüssel hielt man mein Benehmen für vollkommen, da man ja annahm, ich sei ein junger Mann, dessen frühzeitiger Eintritt in das Militär notwendigerweise seiner Erziehung habe schaden müssen. Die Baronin hatte zweifellos einige Gedanken der Art, da sie mir hie und da kleine Aufmerksamkeiten erwies, die mir stark zu denken gaben.

Einige Male war ich abwesend, um mit meinem General zu speisen, dessen Einladungen ich, wie ich mir sagte, nicht abschlagen konnte; und so wollte sie durchaus, daß ich ihn ihr mit meinen anderen Freunden vorstelle. Anfangs war’s mir nun nicht gerade angenehm, meine Genossen bei der Baronin einzuführen;

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_060.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)