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Generaladjutant, den ich doch erreichen mußte, schien fast vor mir auf der Flucht zu sein, denn er hatte sich soeben nach Lüttich begeben. Ich reise also dahin und rechne darauf, dieses Mal wenigstens keine vergebliche Fahrt zu machen. Ich komme an; mein Mann hatte sich am Abend vorher nach Paris auf den Weg gemacht, wo er vor dem Konvent erscheinen mußte. Seine Abwesenheit sollte nur vierzehn Tage dauern. Ich warte, niemand kommt. Ein Monat vergeht, immer noch niemand. Das Geld nimmt rapide bei mir ab. Ich muß mich entschließen, nach Brüssel zurückzugehen, wo ich am leichtesten die Mittel, mich aus der Verlegenheit zu ziehen, zu finden hoffte. Ich will mit der Aufrichtigkeit reden, die ich mir vorgenommen habe, in dieser ganzen Lebensgeschichte zu bezeugen. Ich muß also erklären, daß ich in der Wahl dieser Mittel nicht mehr allzu peinlich zu sein begann; meine Erziehung hatte mich ja bisher nicht zu einem Menschen mit viel Skrupeln machen können, und die schauerliche Garnisongesellschaft, mit der ich seit meiner Kindheit verkehrte, hätte auch die allerglücklichste Veranlagung zugrunde gerichtet.

Ich tat also meinem Zartgefühl nicht allzu große Gewalt an, als ich in Brüssel zu einer galanten Frau meiner Bekanntschaft zog. Sie war früher von dem General van der Nott ausgehalten worden, aber sie war nach und nach ganz in die Spähre der Öffentlichkeit gesunken. Müßig, wie alle jene, die in eine solche zweideutige Lebenshaltung geworfen sind, brachte ich ganze Tage und Nächte im türkischen Café und im Café de la Monnaie zu, wo sich vor allem Hochstapler und gewerbsmäßige Spieler versammelten. Diese Leute gaben sehr viel aus, spielten teufelsmäßig hoch. Und da sie keine einigermaßen wahrnehmbare Hilfsquelle hatten, begriff ich nicht, woher sie ein solches Leben führen konnten. Ein junger Mann, mit dem ich bekannt geworden war, und den ich darüber ausfragte, schien ganz erstaunt über meine Unerfahrenheit zu sein, und ich hatte alle mögliche Mühe, ihn davon zu überzeugen, daß ich wirklich so ein Neuling war,

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_055.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)