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peinlich genau nahm und sich sonst sehr wenig um ihre weiteren Eigenschaften kümmerte, und daß er oft, wenn er nicht gleich die Verurteilten herausfand, den ersten besten griff und zum Scharfrichter schickte, damit nur ja der Dienst nicht gestört würde. Ich konnte jeden Augenblick in die Hände Beauprés fallen, und diese Aussicht war nicht sehr beruhigend.

Ich saß schon sechzehn Tage in Gefangenschaft, als man uns den Besuch Joseph Lebons ankündigte. Er kam in Begleitung seiner Frau, und die bedeutendsten Terroristen des Landes waren mit ihm; unter ihnen erkannte ich den ehemaligen Perückenmacher meines Vaters, und einen Brunnenbauer namens Delmotte. Ich bat beide, ein Wort zu meinen Gunsten einzulegen. Sie versprachen es mir, und ich erhoffte mir davon einen um so größeren Erfolg, als sie sehr in Gunst standen. Währenddessen raste Joseph Lebon durch die Säle und verhörte die Gefangenen mit wilder Miene, indem er so tat, als habe er sie über die scheußlichsten Vergehen zu vernehmen. Als er zu mir kam, sah er mich scharf an und sagte in einem Ton, der halb hart, halb spaßhaft war: „Ach sieh mal einer an, du bist es, François! Du unterstehst dich, ein Aristokrat zu sein; du sprichst übel von den Sansculotten, du bedauerst die Bourbonen. Nimm dich in acht, daß ich dich nicht in den Backofen stecke! – Übrigens schick’ mir doch mal deine Mutter!“ Ich machte ihm bemerklich, daß ich meine Mutter nicht sehen könne, da ich im Gefängnis sei. „Beaupré,“ sagte er zum Gefängniswärter, „laß die Mutter Vidocq herkommen!“ Und er ging und ließ mich voller Hoffnung, denn er hatte mich offensichtlich mit einer ganz besonderen Gnade behandelt. Zwei Stunden später sah ich meine Mutter ankommen. Sie teilte mir mit, was ich noch nicht wußte, daß mein Denunziant jener Musiker war, den ich zum Duell gefordert hatte. Die Denunziation lag in den Händen eines erbitterten Jakobiners, des Terroristen Chevalier, der aus Freundschaft für meinen Rivalen mir gewiß übel mitgespielt hätte, wenn nicht seine Schwester auf die flehentlichen Bitten meiner Mutter

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_043.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)