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schon hatte ich alle Wut vergessen, als mir zu Ohren kam, daß er beleidigende Gerüchte über mich ausgestreut hatte. Ich verlangte darüber Rechenschaft von ihm, doch vergebens, und es gelang mir erst, ihn zu bewegen auf den Kampfplatz zu kommen, als er von mir in Gegenwart von Zeugen die schlimmste aller Demütigungen erlitten hatte. Das Zusammentreffen sollte am Morgen des folgenden Tages stattfinden. Ich war pünktlich da; aber kaum kam ich an, da sah ich mich schon von einer Truppe Gendarmen und Polizisten umgeben, die mir meinen Säbel abforderten und mich ihnen folgen ließen. Ich gehorchte und bald schlossen sich die Türen des Gefängnisses hinter mir. Der Gefangenenwärter Beaupré – den Kopf mit einer roten Mütze bedeckt, und von zwei ungeheuren schwarzen Hunden begleitet, die ihn nie verließen – führte mich in eine große Kellerwölbung, wo er die vornehmsten Einwohner der Gegend eingesperrt hatte. Da waren sie jeder Verbindung mit der Außenwelt beraubt, kaum war es ihnen erlaubt, Nahrungsmittel von draußen zu erhalten, und die Nahrungsmittel bekamen sie immer erst von Beaupré, nachdem er seine abscheulich schmutzigen Hände hineingesteckt hatte, um sich in aller Vorsicht zu überzeugen, ob nicht eine Waffe oder ein Schlüssel darin sei. Wenn jemand murrte, so sagte er dem: „Mit dir ist ein schweres Leben … wer weiß,ob du nicht morgen drankommst? Warte mal … wie heißt du doch gleich? – Ach ja, so so – ei freilich, ja, morgen!“ Und die Prophezeiungen Beauprés gingen immer in Erfüllung, denn er selbst war es, der die Verurteilten dem Joseph Lebon bezeichnete; und Lebon pflegte ihn gewöhnlich nach dem Mittagessen zu Rate zu ziehen, und fragte ihn regelmäßig: „Wen werden wir also morgen ins Bad schicken?“

Diese ganze Situation machte mich indessen doch etwas unruhig. Alle Tage schickte man Menschen aufs Schafott, die die Ursache ihrer Verhaftung ebensowenig kannten wie ich. Dann wußte ich auch, daß es Beaupré mit der Zahl der Todeskandidaten

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_042.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)