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zu Arras in Garnison stand, übernahm’s, die Friedensverhandlungen zu führen. Mein Vater spie Feuer und Flammen, aber dann willigte er ein, mich wieder in Gnaden aufzunehmen. Ich hatte schon bei dem Gedanken gezittert, er möchte unerbittlich sein, und als ich es erfuhr, daß er sich hatte erweichen lassen, sprang ich vor Freude in die Höhe. Der Almosenpfleger, der mir die Nachricht überbrachte, begleitete sie mit einer ohne Zweifel sehr rührenden Moralpredigt, von der ich keine Silbe behielt. Ich erinnere mich nur noch daran, daß er die Parabel vom verlorenen Sohn erzählte. Es war ungefähr meine Geschichte.

Meine Abenteuer hatten in der Stadt Aufsehen erregt; jeder wollte den Bericht davon aus meinem Munde hören. Aber niemand interessierte sich mehr dafür als eine Schauspielerin von einer Truppe, die sich in Arras aufhielt, und zwei Modistinnen. Ihnen stattete ich häufig Besuche ab. Immerhin hatte die Schauspielerin bald das ausschließliche Privileg meiner Gunstbezeugungen. Schließlich entspann sich eine Intrige. Ich verkleidete mich als Mädchen, und wir führten fast eine Szene aus dem Roman des Faublas auf. Ich reiste Hals über Kopf mit meiner Eroberung, ihrem Mann und einem sehr hübschen Kammermädchen – die mich für ihre Schwester ausgab – nach Lille, und erweckte in meinem Vater die Überzeugung, daß ich die Drangsale meiner ersten Unternehmung schnell vergessen hatte. Aber meine Abwesenheit war nicht von langer Dauer. Drei Wochen waren kaum verflossen, da verzichtete die Schauspielerin aus Geldmangel darauf, mich länger unter ihrem Gefolge mitzuführen. Ich kehrte gelassen nach Arras zurück und setzte meinen Vater in Erstaunen durch die Festigkeit, mit der ich ihn um seine Einwilligung bat, in den Militärdienst treten zu dürfen. Schließlich konnte er nichts Besseres tun, als mir seine Erlaubnis zu geben. Das sah er auch ein, und am Tage darauf hatte ich schon die Uniform des Regiments Bourbon am Leibe. Meine Figur, meine gute Haltung und meine Geschicklichkeit

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_030.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)