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Die einzige Folge war, daß ich nicht schlief; die anderen schnarchten wie in Abrahams Schoß.

Ich wurde von Vater Godard freigehalten. Mochten nun Obdach und Kost noch so schlecht sein, so näherte ich mich doch mit jedem Schritt, und es kam mir darauf an, mich nicht von Godard zu trennen.

Endlich kamen wir in Lille an. Wir hielten unseren Einzug an einem Markttage. Vater Godard wollte keine Zeit verlieren, zog geradewegs auf den Marktplatz und befahl mir, seinen Tisch, seinen Kasten, seine Fläschchen und Päckchen herzurichten; dann sagte er, nun solle ich ans Ausrufen gehen. Ich hatte gut gefrühstückt; der Auftrag empörte mich tief. Ich hätte es am Ende noch hingehen lassen, das Gepäck von Ostende bis nach Lille zu schleppen wie ein Dromedar. Aber den Ausrufer zu machen! Und zehn Meilen von Arras entfernt! Ich empfahl mich also dem Vater Godard bestens, marschierte aus Leibeskräften auf meine Vaterstadt zu, und bald sah ich auch den großen Glockenturm wieder. Ich kam unten bei den Wällen an, noch vor Schluß des Stadttores; ich zitterte bei dem Gedanken an die Aufnahme, die ich finden würde. Einen Augenblick war ich geneigt, zum Rückzug zu blasen, aber ich konnte mich vor Müdigkeit und Hunger kaum mehr aufrecht halten. Ich brauchte Essen und Ruhe. Ich schwankte nicht weiter, und nun lief ich geradezu auf mein Elternhaus zu. Meine Mutter saß allein im Laden. Ich trete ein, falle ihr zu Füßen und bitte weinend um Verzeihung. Die gute Frau – sie erkannte mich kaum, so sehr hatte ich mich verändert – war ganz gerührt: sie hatte nicht die Kraft, mich zurückzustoßen. Es schien fast, als hätte sie alles vergessen. Sie sorgte für alle meine Bedürfnisse und führte mich dann in meine alte Kammer. Aber bei alledem mußte doch mein Vater von meiner Rückkehr in Kenntnis gesetzt werden. Meine Mutter fühlte nicht den Mut in sich, seinen ersten Zornesausbruch über sich ergehen zu lassen. Einer meiner Freunde, ein Geistlicher, der Almosenpfleger des Regiments Anjou, das

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_029.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)