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Nun, ich fügte mich der Not. Nach getaner Arbeit ging ich zum Direktor, und der sagte, es sei recht so. Wenn ich weiter tüchtig sei, würde er schon etwas aus mir machen.

Ich war sehr früh aufgestanden und hatte einen Mordshunger. Es war zehn Uhr, ich sah nicht, daß vom Essen die Rede war, und wir hatten doch ausgemacht, daß ich Logis und Kost bekommen sollte. Ich fiel schon beinahe um, als man mir endlich ein Stück Schwarzbrot brachte. Es war so hart, daß ich es nicht ganz aufaß, und ich hatte doch herrliche Zähne und einen schrecklichen Appetit. Den größten Teil warf ich den Tieren hin. Am Abend mußte ich die Lampen anzünden. Aus Mangel an Übung war ich nicht ganz so schnell dabei zur Hand – da gab mir der brutale Direktor eine kleine Tracht, und das wiederholte sich am Tage darauf und an allen folgenden Tagen. Noch war kein Monat vorbei, und ich befand mich schon in einem beklagenswerten Zustand: meine Kleider waren voller Fettflecken, von den Affen zerrissen und hingen in Fetzen an mir herunter. Der Hunger verzehrte mich, und die erzwungene Diät hatte mich so mager gemacht, daß ich nicht wiederzuerkennen war. Da erwachten in mir mit neuer Stärke die Erinnerungen an das Vaterhaus, wo man gut aß, gut schlief, sich gut kleidete und keine Affen zu besorgen hatte.

So stand’s mit mir, als mir eines Morgens Comus erklärte, er habe nachgedacht, wozu ich mich eignen würde. Er sei der Überzeugung, ich würde einen geschickten Springer abgeben. Er vertraute mich also den Händen des Signor Bolmate, genannt der kleine Teufel, an. Er sollte mich ausbilden. Gleich beim ersten Sprung, den mich mein Lehrmeister machen ließ, hätte ich mir beinahe das Kreuz gebrochen. Und ich bekam zwei bis drei Lektionen täglich. In weniger als drei Wochen war ich so weit, daß ich den „Karpfensprung“, den „Affensprung“ und den „Säufersprung“ perfekt ausführen konnte. Mein Lehrmeister war über meine Fortschritte entzückt und machte sich noch ein Vergnügen daraus, sie zu beschleunigen. Hundertmal

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_023.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)