Seite:Landstreicherleben 020.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

so freundlich ein, daß es klotzig von mir gewesen wäre, mich bitten zu lassen. Ich nahm also an. Er führte mich in ein Haus, wo uns sehr liebenswürdige Damen empfingen, mit aller Hingabe jener antiken Gastlichkeit, die sich nicht nur auf den Festschmaus beschränkte. Um Mitternacht vermutlich – ich sage vermutlich, denn wir schauten nicht mehr auf die Uhr – hatte ich einen schweren Kopf, meine Beine trugen mich nicht mehr; um mich bewegte sich alles in einem ungeheuren Kreis, und die Dinge schwankten derartig, daß es mir vorkam – ohne die geringste Ahnung davon, daß man mich entkleidet hatte –, als ob ich auf demselben Daunenbett lag wie eine der Blankenbergher Nymphen. Vielleicht war es so. Alles, was ich weiß, ist, daß ich einschlief. Bei meinem Erwachen fühlte ich eine lebhafte Kälte. An Stelle der grünen Vorhänge, die mir wie in einem Traume erschienen waren, sahen meine schweren Augen einen Wald von Masten, und ich hörte jene Warnungsrufe, wie sie nur in den Seehäfen widerhallen; ich wollte mich aufrichten, da tastete meine Hand an einem Haufen von Stricken herum, auf denen ich gelegen hatte. Träumte ich jetzt oder hatte ich am Abend geträumt? Ich betastete mich, ich reckte mich, und als ich auf zwei Beinen stand, zeigte es sich, daß ich nicht träumte und, was schlimmer ist, daß ich nicht zu jener kleinen Zahl von bevorzugten Wesen gehörte, denen das Glück im Schlaf kommt. Ich war halb entkleidet und mit Ausnahme von zwei Sechs-Livres-Talern, die ich in einer Hosentasche fand, hatte ich keinen Heller. Da wurde es mir nur zu klar, daß ganz nach dem Wunsche des Maklers meine „Angelegenheit“ bald geordnet war. Ich platzte vor Wut; aber an wen sollte ich mich halten: ich hätte ja nicht einmal den Ort angeben können, wo man mich so ausgeplündert hatte; ich faßte mich also und kehrte in das Wirtshaus zurück, wo einige Kleidungsstücke, die ich noch besaß, die Mängel meiner Toilette ersetzen konnten. Ich brauchte meinem Wirt gar nicht erst von meinem Mißgeschick zu erzählen.

„Aha,“ rief er, sowie er mich nur von ferne erblickte, „da ist

Empfohlene Zitierweise:
Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_020.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)