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ein Vertrauter von Poyant gelaufen, setzte seine ehrlichste Miene auf und teilte ihr mit, ich stecke mitten in einer Orgie mit Mädchen, ich schlüge auf alle Welt los, ich wolle alles in dem Hause kurz und klein schlagen, und wenn man mich gewähren ließe, so gäb’s für mindestens hundert Frank Schaden, den man gleich bezahlen müsse.

In diesem Augenblick saß meine Mutter gerade in ihrem Stuhl und strickte; der Strumpf fällt ihr aus der Hand, sie springt Hals über Kopf auf und läuft ganz außer sich an den Ort des angeblichen Vorgangs – und man war so vorsorglich gewesen, ihr eine der entferntesten Gegenden der Stadt zu nennen. Ihre Abwesenheit konnte trotzdem nicht allezulange dauern: wir beeilten uns, sie auszunutzen. Ein Schlüssel, den ich am Abend vorher gemaust hatte, half uns in den Laden einzudringen. Die Ladenkasse war geschlossen; ich war beinah froh, auf dieses Hindernis zu stoßen. Dieses Mal erinnerte ich mich der Liebe, die meine Mutter mir bewies – und zwar nicht, um mir Straflosigkeit zu prophezeien, sondern ich fing an, Gewissensbisse zu bekommen. Ich war im Begriff den Rückzug anzutreten, aber Poyant hielt mich zurück; seine infernalische Beredsamkeit ließ mich erröten über das, was er meine Schwäche nannte, und als er mir ein Brecheisen, das er fürsorglich zu sich gesteckt hatte, in die Hand drückte, ergriff ich es fast mit Enthusiasmus: Die Kasse wurde gesprengt; sie enthielt etwa zweitausend Frank, die wir teilten, und eine halbe Stunde später befand ich mich allein auf der Landstraße nach Lille. In der Aufregung, in die mich dieses Unternehmen gesetzt hatte, marschierte ich zuerst sehr schnell, so daß ich, als ich in Sens ankam, schon übermäßig ermüdet war; ich machte halt. Ein Retourpostwagen kam vorbei, ich nahm in ihm Platz, und in weniger als drei Stunden kam ich in der Hauptstadt des französischen Flandern an. Von da fuhr ich sofort nach Dünkirchen ab, in aller Eile bemüht, weiterzukommen, um mich so schnell wie möglich der Verfolgung zu entziehen.

Ich hatte die Absicht, eine Reise in die Neue Welt zu machen.

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_018.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)