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ihre Verzeihung. Vier Tage später war ich frei und ich ging wieder an meine Arbeit mit der ausdrücklichen Absicht, von nun an eine vorwurfsfreie Führung zu wahren. Vergeblicher Entschluß! Ich fiel stracks in meine alten Gewohnheiten zurück, die Verschwendung abgesehen; ich hatte gute Gründe, nicht mehr den Großartigen zu spielen. Mein Vater, den ich bis dahin immer so sorglos gesehen hatte, war nun von einer Wachsamkeit, die dem Kommandanten einer Nobelgarde Ehre gemacht hätte. Sobald er gezwungen war, seinen Platz am Ladentisch zu verlassen, ersetzte ihn sofort meine Mutter. So war es mir unmöglich heranzukommen, obgleich ich stets auf der Lauer lag. Auf die Dauer machte mich das ganz verzweifelt. Endlich erbarmte sich meiner einer der alten Kneipkumpane: es war wieder einmal Poyant, ein vollendeter Lump, an dessen Großtaten die Einwohner von Arras wohl noch heute denken mögen. Ich gestand ihm meine Qualen.

„Ei was!“ sagte er zu mir, „du bist schön dumm, so am Bändel zu hängen – und dann, wie sieht denn das aus, ein Junge in deinem Alter und hat keinen Sou? Geh mir doch, wenn ich an deiner Stelle wäre, ich wüßte schon, was ich täte!“ – „Und was tätest du?“ – „Deine Eltern sind reich. Tausend Taler mehr oder weniger werden ihnen kein groß’ Unglück machen: die alten Geizkragen, denen geschieht ganz recht, du mußt deinen Schnitt machen!“ – „Ich versteh’ schon, ich soll im ganzen einpacken?“ – „Jawohl: und dann verduftet man, ungesehen, ungekannt.“ – „Ja, aber die Gendarmerie?“ – „Halt doch’s Maul: Bist du denn nicht ihr Junge? Und dann, deine Mutter liebt dich doch mächtig!“

Die Erwähnung der Liebe meiner Mutter, dazu die Erinnerung an ihre Nachsicht gegenüber meinen letzten Streichen, wirkte ausschlaggebend. Ich nahm blindlings einen Plan an, der meiner Kühnheit lächelte; man mußte ihn nur mehr zur Ausführung bringen; die Gelegenheit ließ nicht auf sich warten.

Eines Abends, als meine Mutter allein im Hause war, kam

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_017.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)