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leisten zu können. – Not macht erfinderisch: ich hatte auf alles ein Auge; alles war mir gleich gut, Wein, Kaffee, Zucker, Liköre. Meine Mutter hatte ihre Vorräte noch nie so schnell verschwinden sehen. Vielleicht hätte sie den Weg, den die Dinge nahmen, nicht so bald entdeckt, aber eines Tages erhoben zwei Hähne, die ich beschlossen hatte zu meinem Nutzen zu konfiszieren, ihre anklagende Stimme. Sie waren in eine Hose gestopft, meine Bäckerjungenschürze verbarg sie. Aber da krähten sie und schwellten den Kamm, und meine Mutter, die so von der Entführung in Kenntnis gesetzt war, stand sofort vor mir. Es setzte einige Ohrfeigen und ich ging ohne Abendbrot zu Bett. Aber ich schlief nicht und es war, wie ich glaube, der Geist des Bösen, der mich wachhielt. Alles was ich noch weiß, ist, daß ich mit einem wohlerwogenen Projekt aus dem Bett aufstand, mit dem Silberzeug Langfinger zu spielen. Nur eins beunruhigte mich: auf jedem Stück war der Name Vidocq mit allen Buchstaben eingraviert. Aber Poyant, dem ich mich über diese Sache eröffnete, behob alle Schwierigkeiten, und noch am selben Tage um die Zeit des Mittagessens tat ich einen Griff auf zehn Bestecke und ebensoviel Kaffeelöffel. Zwanzig Minuten später war alles verpfändet, und am Morgen des übernächsten Tages hatte ich keinen Sou mehr von den hundertfünfzig Franks, die man mir geliehen hatte.

Seit drei Tagen war ich schon nicht mehr bei meinen Eltern aufgetaucht. Da, am Abend, wurde ich von zwei Polizisten arretiert und ins Spritzenhaus gebracht, wo man die Irrsinnigen, die Häftlinge und die Landstreicher der ganzen Umgegend einschloß. Dort hielt man mich zehn Tage gefangen, ohne daß man mir einen Grund für meine Gefangennahme mitteilen wollte. Endlich sagte mir der Wärter, daß ich auf Verlangen meines Vaters eingesperrt worden sei. Diese Nachricht besänftigte meine Unruhe etwas: es war also eine väterliche Abstrafung; und ich ahnte, daß man mich nicht übermäßig streng halten würde. Meine Mutter kam am nächsten Tage nach mir sehen, und ich erhielt

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_016.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)