Eine unerwartete kleine Reise hielt mich mehrere Wochen ab, Ihnen noch einmal über unsere Kunstausstellung zu schreiben. Jetzt wird sie bald geschlossen; ich füge daher meinem frühern Brief nur noch einige flüchtige Bemerkungen hinzu. In das Professorzimmer sind noch zwei Portraits, lebensgroße Kniestücke, gekommen, über welche ich wohl die Meinungen der Gesellschaft, welche ich früher belauschte, hören möchte. Ich glaube daß der Kenner gewiß entzückt seyn würde von beiden Gemälden, in denen sich Professor Matthäi als Meister bewährt. Darstellungen von Personen in reifern Jahren scheinen ihm noch weit trefflicher zu gelingen, als ganz jugendliche.
Auf dem einen Bilde sehen wir einen sinnigen Denker freundlich gen Himmel blicken; das Buch mit den lateinischen Erinnerungssprüchen, welches er in der Rechten hält, sinkt auf sein Knie; man fühlt, wie das Gelesene und Erlebte einen reinen Accord in seiner Seele bilden; milde Klarheit ist der Charakter des ganzen Gemäldes. Der Hintergrund ist landschaftlich; das warme Abendgrau des Himmels ist sehr wohlthuend für die überaus wahren Fleischtinten des Kopfes. Es ist ganz meisterhaft, wie gerundet, lebenathmend, kühn, und doch so weich verschmolzen dieser gemalt ist. Das graue Kleid, welches so behaglich und zwanglos sitzt, stimmt trefflich zu dem Stillgemüthlichen und Anspruchlosen des Ganzen. Eben so ist Stellung und Ausführung der Hände ganz der Natur abgelauscht. Gleich diesem trefflichen Bilde wohlthuend für Sinn und Auge, ist das Seitenstück, welches eine edle Matrone darstellt, die mütterlich wohlwollend auf uns blickt. Sie sitzt unter einem gewölbten Bogengange; das Licht scheint aus einem Seitenfenster von oben herab zu fallen und conzentrirt sich trefflich auf dem sorgfältig ausgeführten Kopfe. Wahrheit und Leben ist in jedem dieser sprechenden Züge. Die Behandlung der Farben erinnert an die des berühmten seeligen Graff, aber der Styl ist höher und edler, die Ausführung schöner; man fühlt daß es ein Historienmaler ist, der sich hier dem Portraitmalen hingiebt. Alles ist ungesucht und einfach in diesen beiden Gemälden. Wie passend und ehrwürdig ist dies faltenreiche, schwarze Gewand mit dem breiten Sammetgürtel, dem altdeutschen weißen Kragen und dem tiefen Spitzenhäubchen. Es ist überaus selten, Portraits zu sehen, die, so wie diese, gleich fern von kalter Steifheit und von gefallsüchtiger Eitelkeit sind, wo Natur und Kunst so ganz harmonisch verschmelzen.
Ueber die andern Zimmer habe ich Ihnen noch Einiges mitzutheilen; doch muß ich mich auf allgemeine Bemerkungen einschränken. Im mittlern Zimmer sind, seit ich Ihnen schrieb, noch zwei größere Oelgemälde eigner Erfindung von jungen Künstlern hinzugekommen. Das eine, Kniestück in Lebensgröße, stellt Magdalenen vor, mit aufgelöstem Haar, Reuethränen vergießend, das Kreuz umschlingend, um welches der Dornenkranz, von Passionsblumen umrankt, gewunden ist. Remy, Schüler des Prof. Kügelgen malte diese Magdalena. In der Idee des Bildes ist recht viel Lobenswerthes; es wäre aber wohl zu wünschen, daß die Magdalena schöner und zarter gehalten wäre. Das andere: Achilles und Thetis, von Thomé, Schüler des Prof. Hartmann, steht in der technischen Ausführung weit höher; die
Unbekannt: Bemerkungen über die diesjährige Dresdner Kunstausstellung, in Briefen. F. A. Brockhaus, Leipzig 1818, Seite 657. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunstblatt_1818_Dresdner_Kunstausstellung.djvu/18&oldid=- (Version vom 13.11.2024)