Der Kenner: Es freut mich doch, daß es mir gelungen ist, Sie alle hier so herum zu führen, ohne daß Sie einen einzigen Blick auf jene Wand warfen, wo nun das neue große historische Gemälde unsers braven Rösler’s ausgestellt ist. Jetzt wenden Sie sich um, und genießen Sie recht voll und ungestört den Eindruck, den dies höchst verdienstvolle und ausgezeichnete Werk auf Sie machen wird. Es ist ein glücklicher Gedanke, recht zur malerischen Ausführung geeignet, die Hussiten vor Naumburg darzustellen, und zwar in dem Augenblicke, wo Procopius den Viertelsmeister Wolf versucht, indem er ihm befiehlt, seine eignen Kinder zu nennen, damit er diese als Opfer für die Befreiung der Stadt tödten lasse. Als er sie nicht nennen will, droht er den Vater zu tödten; da eilen, von kindlicher Liebe getrieben, die Kleinen ängstlich hervor, den Vater zu umklammern, und verrathen so sich selbst.
Der Kunstfreund: Welches Leben! Wie reich und wie voll Geist und Ausdruck ist dies Bild! Wahrlich, dieser Künstler ist geschaffen zur großen historischen Composition, in welcher man heut zu Tage so selten wahre Meister findet. Hier ist nichts ängstlich, nichts unbeholfen, nichts abgemessen, sondern alles leicht und frei und kühn, die Gestalten drängen sich in schöne Gruppen, die wohlgeordnet sind und doch ganz zufällig scheinen. Ueberall ist Gefühl vorherrschend und nicht die kalte Berechnung, die stets nur Todtes zu schaffen vermag. Hier ist Natur und Wahrheit, mehr nach ächt malerischer Wirkung strebend, als nach dem plastischen Effekt, den viele neuere Künstler vorzuziehen scheinen; alles hat Kraft und Leben, obwohl freilich nicht ganz die Rundung, die jene erreichen, und durch die treffliche Klarheit des Helldunkels kommt alles in Haltung. Wie richtig ist es gefühlt, daß hier der Procopius und seine hinter ihm stehende Kriegerschaar so ganz die Mitte des Bildes einnehmen und die Kinder von beiden Seiten sich ordnen: so bildet sich das Ganze völlig zwanglos pyramidalisch. Und wie weise ist auch die vollste Kraft dadurch in der Mitte, wie concentrirt sich das Licht auf den seitwärts gewendeten, schön gemalten Hals des Feldherrn!
Der Dichter: Dieser Procopius ist überhaupt herrlich gehalten; bei so viel Kraft und kriegerischer Wildheit, blickt doch so ächte Menschlichkeit und Religiosität durch des rauhe Aeußere; ja, ich möchte behaupten, man sieht ihm und dem edlen Krieger, der ihm zunächst steht, es an, daß sie für eine aufgeklärtere Religion kämpfen, so wie hingegen aus den Blicken der untergeordneten Hussitenschaar rechts neben Procopius, wilder Fanatismus leuchtet, zu welchem bei dem Volke jeder Religionszwist wird. Und doch, selbst diese, die den armen Kleinen so furchtbar mit ihren wunderlichen Spießen und Streitkolben drohen, sind nicht so schlimm; es macht nur dem rohen Volk einen Spaß, den Kindern Todesangst einzujagen, sie thun es mehr aus Schabernack, als ernstlich. Die zur Linken des Procopius aber, die sich ihre Ansichten über den Vorfall mittheilen, welche interessante Köpfe sind dies! wie sprechend und feurig, und dabei doch wie trefflich im Halbschatten gehalten, so daß
Unbekannt: Bemerkungen über die diesjährige Dresdner Kunstausstellung, in Briefen. F. A. Brockhaus, Leipzig 1818, Seite 605. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunstblatt_1818_Dresdner_Kunstausstellung.djvu/15&oldid=- (Version vom 12.11.2024)