Julie: Ah, da sind ja unsere Freunde schon, und wie ungewöhnlich! Alle scheinen einmüthig in freudigem Entzücken übereinzustimmen! Selbst unser Adelbert stehe Arm in Arm mit dem alten Professor an das Fenster gelehnt. Geschwind, Väterchen, laß uns sehen, was dieses Wunder bewirken konnte!
Der Kenner: Sie werden aufhören, es ein Wunder zu nennen, liebes Fräulein, wenn Sie sehen, welch tadellos treffliches Werk uns so anzieht. Solcher Vollendung gegenüber gibt es keine Meinungen mehr; wer hier nicht entzückt wäre, der besuche nie einen Kunstsaal wieder! Treten Sie hieher, ganz ins Fenster, damit das Spiegelglas Sie nicht blende, und nun betrachten Sie diese himmlische Copie von Correggio’s weltberühmter Nacht, die unser trefflicher Seydelmann verkleinert diesen Sommer in Sepia zeichnete, damit Raphael Morghen sie darnach in Kupfer steche. Welche Klarheit und Kraft, welche Treue in der zartesten Auffassung der Charaktere, welche Abstufung von dem höchsten Licht, welches hier blendend klar ist, bis zum tiefsten Schatten, der doch bei aller Dunkelheit durchsichtig bleibt! Und dabei welche wundervolle Zartheit und Vollendung in der Behandlung! Wahrlich, diese Aufgabe konnte einzig dieser Meister so lösen, und kommt der Kupferstich nur einigermaaßen dieser Zeichnung gleich, so wird es eins der ersten Blätter im Reiche der Kunst.
Der Kunstfreund: Wie unendlich schöner ist das Kunstgebilde, wenn jede Gattung in ihrer Eigenthümlichkeit bleibt! Mich entzückt diese Zeichnung in diesem für die Sepiamanier passenden Maaßstabe, weit mehr, als die ungeheuer großen Zeichnungen, die der seltne Künstler aufgefodert wurde, in der Größe der Originalgemälde seit mehreren Jahren zu fertigen. So schön und brav diese auch waren, so fühlte man doch etwas Unzweckmäßiges dabei; hier aber ist alles befriedigend. Die Farben selbst sind in diesem wundersamen Gemälde Correggio’s nur die Dienerinnen von Licht und Schatten; um so schöner konnte daher hier die Uebertragung in die Zeichnung gerathen.
Der Dichter: Dieser Nacht gebühren die vollsten Kränze, denn hier muß jede Kritik verstummen! –
Die Dame: O sehen Sie doch, wie reizend angezogen die Dame da oben ist! Die herrlichen Perlen, mit denen Sie ihr dunkles Sammtkleid schnürte, und der Spitzenkragen, der zackig aus dem weitausgeschnittnen Kleide hervorsteht, diesen mögte man haben! Und wie kleidsam und geschmackvoll ist Alles! Der Orange-Shawl ist gewiß ächt, ob man gleich die Kante leider nicht sieht.
Der Kenner: Dies Kniestück, welches Prof. Matthäi malte, ist auch das Portrait einer der geschmackvollsten Frauen. Es ist trefflich gemalt, obschon es den Reiz des Originals nicht erreicht. Recht schön hebt sich das dunkle Haar heraus auf dem hellgrünen Vorhange, aber man würde diesen Haaren wohl einige darüber hinspielende Lichter wünschen; doch Künstler sind damit stets geplagt, weil Unkundige dann das Haar für heller halten! Die zarten Fleischtinten gewinnen sehr durch das dunkle Gewand!
Der Krittler: Wärmer könnten diese Tinten
Unbekannt: Bemerkungen über die diesjährige Dresdner Kunstausstellung, in Briefen. F. A. Brockhaus, Leipzig 1818, Seite 601. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunstblatt_1818_Dresdner_Kunstausstellung.djvu/12&oldid=- (Version vom 12.11.2024)