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der Märchen Einfluss hat. Die Märchen hängen eben nicht mit der Sprache, sondern mit der Kultur zusammen. Um die in geographischer Ordnung vergleichende Wissenschaft auf ganz sichere Füsse zu stellen, müssten eigentlich aus jedem Lande, jeder Landschaft, ja fast jedem Kirchspiele Varianten vorhanden sein. (In den alten epischen Liedern der Finnen hat sogar jedes Dörfchen ihre besondere Singarten ganz wie Dialektverschiedenheiten in der Sprache). – Sollten die Richtung und die Wege der Verbreitung auch nur in einem Lande genau festgestellt sein (wie z. B. in Finnland), so könnten schon einige sichere Schlüsse auf die Verbreitung der Märchen in den übrigen Ländern gezogen werden.

Da die Urform eines einzelnen Abentheuers sich gewöhnlich nirgends ganz rein erhalten hat, so ist eine weitere Auflösung desselben nothwendig. Die Handlung muss in seine Hauptelemente: Personen, Objekte, Mittel, Thätigkeiten etc. zergliedert werden und jedem Gliede muss durch die ganze Reihe der Varianten in geographischer Ordnung gefolgt werden, um die ursprüngliche Form herauszufinden. Dabei ist nicht nur die Stimmehrheit der Varianten, welche oft betrügt, zu beachten, sondern auch die Wege der Verbreitung und schliesslich das Natürliche in Betracht zu nehmen.

Nur durch die Fixierung der ursprünglichen Form in jedem einzelnen Elemente der Handlung, ist die Urform eines Abentheuers zu finden. Und nur wenn diese gefunden ist, kann man Schlüsse auf den Ursprungsort, die Nationalität, die Entstehungszeit[WS 1], die ursprüngliche Verbindung mit anderen Abentheuern, die ihr zu Grunde liegende allgemeine Idée ziehen.

Die Herausfindung der ursprünglichen Form des Märchens ist aber nicht das interessanteste, was die geographisch vergleichende Märchenkunde leisten kann. Noch wichtiger ist vielleicht die Erforschung der Veränderungen welche die Urform auf ihren Wanderungen erlitten hat. Es ist bekannt, wie alle sprachlichen Veränderungen auf ausnahmslosen lautphysiologischen Sprachgesetzen beruhen oder durch Analogie erklärt werden müssen. Ebenso sind alle Veränderungen in dem bunten Gewebe der Märchen nach bestimmten Gesetzen des Gedankens und der Phantasie entstanden. Von diesen nicht zahlreichen Gesetzen mögen genannt werden: das Vergessen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Enstehungszeit
Empfohlene Zitierweise:
Kaarle Krohn: Die geografische Verbreitung einer nordischen Thiermärchenkette in Finnland. Suomalaisen Kirjallisuuden-seuran Kirjapainossa, Helsinki 1890, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Krohn_Nordische_Thierm%C3%A4rchenkette.djvu/12&oldid=- (Version vom 1.8.2018)