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von allem überflüssigen Beiwerke losgeschält ist. Da aber die Handlung eines Märchens, wie wir sie vorfinden, oft eine sehr komplicierte ist, so muss sie erst in einfache, aus nur einer Schürzung und einer Auflösung bestehende Handlungen, in einzelne Abentheuer zertheilt werden. Jedes Abentheuer wird dann für sich untersucht.

Um die ursprüngliche Form eines einfachen Abentheuers herauszufinden, müssen erst alle vorhandenen Varianten d. h. alle die Abentheuer, welche dieselbe Schürzung der Handlung mit derselben Auflösung darstellen, zusammengebracht werden. Solche Abentheuer, in welchen nur die Schürzung oder nur die Auflösung dieselbe ist, können ganz zufällig ähnlich gerathen sein, durch die Gleichartigkeit des menschlichen Denkens. Zweimaliger Zufall ist aber in der enormen Welt der Idéen kaum zu denken.

Benfeys Missgriff ist gewesen, dass er dass Hauptgewicht auf die älteren literarischen Redaktionen eines Märchens gelegt und den neueren aus dem Volksmunde geflossenen Erzählungen blos einen secundären Werth beigelegt hat. Es ist doch beweisbar, dass die in unserem Jahrhundert mit wissenschaftlicher Genauigkeit aus dem treuen, überaus konservativem Gedächtniss des Volkes aufgezeichneten Varianten oft viel ursprünglichere Formen aufzeigen als die ältesten, rein schönliterarischen Verarbeitungen desselben Märchens. (Im Norden Europas z. B. haben sich die einzelnen Abentheur der obenangeführten volksthümlichen Thiermärchenkette ihrer Form nach ursprünglicher erhalten, wie die entsprechenden Fabeln in Ysengrimus oder Roman de Renard). Bei einer vergleichenden Märchenforschung müssen also alle sowohl literarischen als besonders volksthümlichen Varianten zu Rathe gezogen werden.

Doch können die Varianten nicht in jeder beliebigen Ordnung mit einander verglichen werden. Zwei von einander durch Zeit oder Entfernung getrennte Varianten sind gewöhnlich zu verschieden um ohne vermittelnde Formen den Gang der Entwickelung zu zeigen. Sie müssen geographisch[WS 1] geordnet werden, soweit die älteren literarischen Quellen hinreichen auch historisch. Denn es hat sich gezeigt, dass die gemeinsame Abstammung der Völker sehr wenig, die geographische Nähe und der gegenseitige Verkehr, ungeachtet der grössten sprachlichen Verschiedenheiten, desto mehr auf die Ähnlichkeit

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: geographish
Empfohlene Zitierweise:
Kaarle Krohn: Die geografische Verbreitung einer nordischen Thiermärchenkette in Finnland. Suomalaisen Kirjallisuuden-seuran Kirjapainossa, Helsinki 1890, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Krohn_Nordische_Thierm%C3%A4rchenkette.djvu/11&oldid=- (Version vom 1.8.2018)