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anderen Erscheinungen begegnen kann, als Hunger, Not, Stumpfheit und dergl.“ und „daß, wenn man die Augen seiner Seele gut offen hält, man auch an Alltagstagen und im Alltagsleben mehr sehen kann, als man bis nun zu sehen gewohnt war“. – Daß die Dichterin, welche alle Bewegungen der Seele und des Geistes des modernen Menschen im Innersten selbst durchlebt, der nicht nur Liebe und Verständnis für alles Leben um sie gegeben ist, sondern auch das träumerische Sehnen, welches die empfängliche Seele in erdenferne, geheimnisvoll lichte Räume der Phantasie erhebt, ihre Empfindungen und Stimmungen mitunter in symbolistischen Tönen ausströmen läßt, stört nicht die Einheit ihres dichterischen Wesens.

In praktischer Thätigkeit an der Spitze der kleinrussischen Frauenbewegung in Galizien steht Natalie Kobrynska (geboren 1855), welche zugleich auch auf belletristischem Gebiete zu den besten Kräften der kleinrussischen Litteratur gehört. Scharf und wahrhaftig schildert sie in ihren Erzählungen das Wesen und das Schicksal des Weibes, mit Vorliebe in den ruthenischen Priesterfamilien – ihr Vater wie ihr Mann waren unierte Geistliche – das hilflose Unverständnis der Alten gegenüber dem modernen Geiste, das Ringen der Stärkeren unter den Jungen nach den Gütern und Idealen dieses Geistes der Zeit. Und nicht nur für die wirtschaftliche und individuelle Selbständigkeit der Frau tritt sie ein mit aller Energie, auch die der

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Olga Kobylanska: Kleinrussische Novellen. J. C. C. Bruns’ Verlag, Minden i. Westf. [1901], Seite XXV. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:KobyljanskaKleinrussischeNovellen.pdf/33&oldid=- (Version vom 13.9.2022)