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durchsichtigen Körpern mitschwingenden elektrischen Teilchen zu betrachten haben, und deren Anziehungskräfte, wie Helmholtz nachwies, jedenfalls auch den weitaus grössten Teil der chemischen Verwandtschaftskräfte ausmachen.

Wenn nun auch, wie vorhin erwähnt, der Grundriss zu dem Gebäude der elektromagnetischen Lichttheorie schon im Jahre 1880 von H. A. Lorentz, ja andeutungsweise noch viel früher von W. Weber gezeichnet worden war, so bedurfte es doch eines vollen Jahrzehnts, bis man, angeregt durch die inzwischen erfolgten Entdeckungen Heinrich Hertz’, begann, die Bausteine zusammenzutragen und zu bearbeiten. In den Jahren 1890–1893 erschienen eine Reihe von Arbeiten von F. Richarz[1], H. Ebert[2] und G. Johnston Stoney[3], welche sich grossenteils mit dem Mechanismus der Lichtemission leuchtender Dämpfe befassen, und in denen auf Grund der Ergebnisse der kinetischen Gastheorie versucht wird, die Grösse des von v. Helmholtz supponierten elektrischen Elementarquantums, für das Stoney den jetzt allgemein gebräuchlichen Namen Elektron vorschlug, zu bestimmen.

Das Resultat dieser Rechnungen ist insofern von Wichtigkeit, als es uns zeigt, dass die ermittelten Zahlen jedenfalls keine Widersprüche mit anderen Erfahrungen enthalten.

So zeigte z. B. H. Ebert[4], dass die Schwingungsamplitude eines Elektrons im leuchtenden Natriumdampf nur ein kleiner Bruchteil des Molekulardurchmessers zu sein braucht, um eine Strahlung von der durch E. Wiedemann[5] experimentell bestimmten absoluten Intensität zu erregen.

Der Weg zur Berechnung der im Elektron enthaltenen Elektrizitätsmenge ist ein sehr einfacher. Die zur elektrolytischen Ausscheidung von 1 ccm irgend eines einatomigen Gases nötige Elektrizitätsmenge wird dividiert durch die Loschmidtsche Zahl, d. h. die Zahl der in 1 ccm enthaltenen Gasmoleküle. Bei der Unsicherheit dieser letzteren Zahl kann man nur sagen, dass ein Elektron etwa (1 : 10 Milliarden) elektrostatische Einheiten enthält. Der Wert dieser Zahl wäre ein sehr problematischer, wenn nicht eine ganze Reihe anderer, von der skizzierten gänzlich verschiedener Methoden, auf die zum Teil noch später einzugehen sein wird, zu ganz ähnlichen Werten geführt hätte.

Während so dargethan wurde, dass die beobachteten Erscheinungen mit der Annahme schwingender Ionenladungen der Grössenordnung nach verträglich waren, erschienen unabhängig voneinander zwei Arbeiten, durch die die elektromagnetische Lichttheorie zum vollendeten Gebäude wurde. Von diesen Arbeiten beschäftigt sich die eine, von H. v. Helmholtz[6] herrührend, nur mit der speziellen Frage der Farbenzerstreuung in absorbierenden Medien; die andere, deren Verfasser H. A. Lorentz[7] ist, geht bedeutend weiter. Hier wird gezeigt, wie man durch die Annahme mitschwingender geladener Teilchen in den lichtdurchlässigen Körpern auch alle Schwierigkeiten aus dem Wege räumt, die sich einer genügenden Erklärung der Lichtfortpflanzung in bewegten Körpern, z. B. der Aberration des Sternenlichts, entgegenstellten. Die Lorentzsche Theorie lässt die Maxwellschen Gleichungen für den freien Äther unverändert bestehen. Ein materieller Körper beeinflusst die optischen wie die elektrischen Vorgänge nur durch die in ihm vorhandenen beweglichen Ladungen, während in dem die Zwischenräume erfüllenden Äther alles unverändert bleibt. Eine „Dielektrizitätskonstante“, wie bei Maxwell, giebt es also als Grundbegriff bei Lorentz nicht mehr. Sie wird hier zu einem abgeleiteten Begriff; und man sieht auch unmittelbar, dass sie für schnelle Schwingungen, bei denen die Trägheit der schwingenden Ladungen in Betracht kommt, gar keine Bedeutung mehr hat. Dasselbe gilt mutatis mutandis auch für die Magnetisierungskonstante.

Es hätte bei der Leichtigkeit, mit der die Lorentzsche Theorie allein schon die Dispersions- und Aberrationserscheinungen erklärt, kaum noch eines direkten Beweises ihrer Richtigkeit bedurft. Gleichwohl sollte auch dieser nicht ausbleiben.

Im Jahre 1896 entdeckte ein Schüler Lorentz’, P. Zeeman[8], eine Erscheinung, deren Existenz schon Faraday (1862) vergeblich gesucht hatte:

Bringt man einen leuchtenden Dampf, etwa eine Na-Flamme, in ein starkes Magnetfeld, so zeigen die Spektrallinien des Dampfes eigentümliche Veränderungen, je nach der Sehrichtung im wesentlichen in einer Verdoppelung oder Verdreifachung bestehend; Änderungen, die sich auf Grund der Lorentzschen Theorie völlig voraussagen lassen.

Das Zeemansche Phänomen erlaubte es ferner, die mit den schwingenden Ladungen verbundene träge Masse zu bestimmen; und da ergab sich ein Resultat, das ein wenig frappant


  1. Sitz.-Ber. Niederrh. Ges. f. Naturk. 47, 113, 1890; 48, 18, 1891; Wied. Ann. 52, 385, 1894.
  2. Arch. de Genève (3) 25, 489. 1891; Wied. Ann. 49, 651, 1893.
  3. Trans. Roy. Dubl. Soc. (2) 4, 563, 1891.
  4. Arch. d. Gen. (3) 25, 489, 1891.
  5. Wied. Ann. 37, 177, 248, 1889.
  6. Wied. Ann. 48, 389, 1893.
  7. Arch. néerl. 25. In Buchform: Leiden, E. J. Brill. 1891.
  8. Verh. phys. Ges. Berlin 15, 128, 1896.
Empfohlene Zitierweise:
Walter Kaufmann: Die Entwicklung des Elektronenbegriffs. S. Hirzel, Leipzig 1901, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kaufmann_Entwicklung_Elektronenbegriffs_1901.pdf/3&oldid=- (Version vom 20.8.2021)