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hat der Grundbesitz einen enormen Werth; daher die Häuslinge, welche desselben entbehren, sich in einer drückenden Lage befinden, und selbst die kleineren Grundbesitzer durch die größeren immer mehr und mehr verdrängt werden. Auf der Geest hingegen lebt, gleichmäßig verbreitet, ein glücklicher Mittelstand. Aber auch die Haide könnte, gehörig bebaut (wie dies die Moorcolonien beweisen), noch Tausenden ein Unterkommen gewähren, bevor die Auswanderung Bedürfniß würde. Die Einwohner zerfallen, ihrer Abkunft nach, in Friesen, an den Ufern der großen Flüsse, in Sachsen, auf den höher liegenden Strecken, und in eingewanderten Niederländern, besonders im Alten Lande. Auf den Marschen wohnt eine rührige, wohlhäbige, kräftige, freiheitliebende, kaufmännisch rechnende Bevölkerung; die Haide- und Moorleute, in ärmlicher Einfachheit lebend, können, bei harter Arbeit und schwerer Kost, nur mit Mühe zu einigem Wohlstande gelangen; die Geest-Bewohner stehen zwischen beiden in der Mitte, haben ihr gutes Auskommen, und leben zufrieden in angeerbter Biederkeit und Gottesfurcht. Neben diesen Eigenthümlichkeiten aber sind doch Allen die gemeinsamen Züge des niedersächsischen Charakters aufgeprägt. Der Sinn nicht leicht beweglich, aber beharrlich; nicht phantasiereich, aber praktisch; nicht glatt und geschmeidig, aber treuherzig und zuverlässig. Daher ein starkes Festhalten an alter Sitte und Gewohnheit; ein nicht sehr erregtes aber auch nicht leicht zu erschütterndes Christenthum; überhaupt ein ruhiges, entschlossenes Wesen, ohne viele Worte. Die poetische Volkssage hat hier keinen sehr günstigen Boden: es fehlt dazu eine großartige Natur, der leichte Sinn und die Gesanges-Lust der Südländer, so wie eine thatenvolle Geschichte der Vorzeit. Die niederdeutsche Mundart der Bevölkerung ist, wie die der Holsteiner, ausgezeichnet rein, weich und wohlklingend: sie wird als ein theurer Besitz geliebt; und selbst die höheren Stände können, im gemüthlichen Verkehr, derselben nicht entbehren. Wie sehr also auch das Hochdeutsche durch die Volksschulen sich ausbreitet; es ist doch noch keine Aussicht vorhanden, daß die altsassische Volkssprache ihre mehr als tausendjährige Herrschaft ganz verlieren werde.


Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Köster: Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden. Stade: In Commision bei A. Pockwitz, 1856, Seite 005. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:K%C3%B6ster_Alterth%C3%BCmer_005.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)