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in mir wach. Als ich dann regelmäßig Zeitungen zu lesen bekam, war niemand über die neuesten Morde, Hochstablerstreiche und Diebstähle so gut unterrichtet wie ich. Mein Taschengeld legte ich ausschließlich in Büchern an. Ich besaß eine Bibliothek, in der nur Kriminalromane und kriminalwissenschaftliche Werke zu finden waren. Meine Freunde verspotten mich wegen dieser Manie, meinte Eltern lächelten harmlos darüber. Und gerade die letzteren hätten weitsichtiger sein, hätten sich rechtzeitig sagen müssen, daß solche auffallenden Neigungen bei einem heranwachsenden jungen Menschen notwendig auf eine abnorme Charakterzusammensetzung schließen ließen, die mit allen Mitteln zu unterdrücken ihre Pflicht gewesen wäre.

Meine Eltern – Das Bild meiner Mutter, jener stillen, bleichen, verhärmten Frau mit den stets vom Weinen geröteten Lidern, steht mir noch so unheimlich lebendig vor den Augen. Dazu mein Vater, der die halben Nächte regelmäßig außer dem Hause zubrachte und den ich nur als äußerst heftigen, leicht aufbrausenden Menschen in der Erinnerung habe. Wie oft hat meine Mutter mich, selbst als ich bereits in den obersten Klassen des Gymnasiums saß, in ihrer Verlassenheit an sich gezogen und an meiner Brust sich ausgeweint. Bei einer solchen Gelegenheit erfuhr ich, daß mein Vater ein Spieler war, daß wir tief in Schulden steckten und nur die Mildtätigkeit unserer reichen Verwandten uns noch über Wasser hielt.

Das sind meine Jugenderinnerungen. Kein froher Lichtstrahl in all diesen Jahren. Nichts als das graue, düstere Bild des Elends, nichts als Tränen,

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Walther Kabel: Irrende Seelen. Leipziger Kriminalbücherverlag, Werner Dietsch Verlag, Leipzig 1919, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Irrende_Seelen.pdf/9&oldid=- (Version vom 1.8.2018)