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Meine ganz sichere Unverfrorenheit war dahin. Nur dieses Thema nicht, nur dieses nicht, das mir nichts als Folterqualen brachte!

Und so erwiderte ich denn kühl und mit deutlicher Zurückhaltung, während es in meinem Herzen so ganz anders aussah:

„So leid es mir auch tut, liebe Tante, in dieser Beziehung kann ich dir wirklich nicht helfen. Marga wird mir nie so nahe stehen, daß ich es wagen könnte, sie nach der Ursache ihres heimlichen Leides zu fragen.“

Tante Johanna verstand mich. „Schade – schade, ihr hättet wirklich gut zueinander gepaßt,“ meinte sie bedauernd. „Und für dich wäre es auch recht gut gewesen, Fred, wenn du erst gewußt hättest, für wen du arbeitest und schaffst.“

In demselben Augenblick erschien Marga in der breiten Flügeltür, die zu dem nebenanliegenden Damenzimmer führte.

Noch nie hatte sie so vorteilhaft ausgesehen wie heute. Von dem kurzen Gange nach dem Postamt waren ihre sonst so bleichen Wangen leicht gerötet. Ihr süßes, liebreizendes Gesichtchen unter der Fülle des dunklen Haares erinnerte lebhaft an eines jener Pastellgemälde des französischen Meisters Pelvoux, der all die schönen Frauen des galanten Zeitalters Ludwigs XIV. mit seinem Stift verewigt hat.

Ganz gebannt von so viel Lieblichkeit, starrte ich sie eine Weile wortlos wie eine Erscheinung an. Unter meinen bewundernden Blicken stieg ihr jetzt deutlich die helle Glut in die Wangen.

„Aber Vetter Ferdinand, Sie tun wirklich so, als ob Sie mich heute zum erstenmal[1] sehen,“ versuchte


  1. Vorlage: erstemal
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Walther Kabel: Irrende Seelen. Leipziger Kriminalbücherverlag, Werner Dietsch Verlag, Leipzig 1919, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Irrende_Seelen.pdf/30&oldid=- (Version vom 1.8.2018)