Illustrirte Zeitung, Nr. 4 vom 22. Juli 1843 | |
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zu haben, denn er verhielt sich bei der letzten Entscheidung unthätig, was man zum Theil mit seinem frühern Auftreten nicht zu vereinigen mag und als inconsequent bezeichnet hat; inzwischen findet sein Benehmen in der Mittheilung, welche Lord Aberdeen am 5. Mai im Parlamente machte, seine vollständige Erklärung. Ob aber und welche Veränderung in den Ansichten der Mächte die am 27. v. M. stattgefundene Fürstenwahl, die von Neuem auf Alexander Georgiewich gefallen ist, hervorbringen wird, müssen wir zur Zeit dahin gestellt sein lassen.
Frankreich und England, die von der Julirevolution ab fast zehn Jahre lang mit einander eng befreundet waren und dem übrigen Europa gegenüberstanden, haben seit dem im Juli 1840 ohne Frankreich zwischen Großbritannien, Oestreich, Preußen und Rußland abgeschlossenen Vertrag, in Folge dessen die türkisch-ägyptischen Händel in Syrien geschlichtet wurden, fast beständig in diplomatischem Hader mit einander gelebt. Zuletzt hat sich dieser bei dem von England angeregten Vertrag über das Recht zur Durchsuchung der Seeschiffe gezeigt, den Frankreich, trotzdem daß es ebenso wenig wie England den Sklavenhandel zu begünstigen die Absicht hat, doch nicht ratificiren mag. Es liegt allerdings in dieser Weigerung das stillschweigende Anerkenntniß von Englands größerer Macht zur See, denn da jenes Recht zur Durchsuchung ein gegenseitiges ist, so würde es französischen Kriegsschiffen ebenso gut zustehen, wie englischen; weil jedoch Frankreich nicht so oft in den Fall kommen kann, es auszuüben, als Großbritannien, will es lieber, indem es den Engländern dieses Recht versagt, selber darauf verzichten. Einstweilen sucht Frankreich seine Seemacht immer mehr in einen Stand zu setzen, in welchem es – wenn auch nur im Vereine mit der eines andern europäischen Staates oder Nord-Amerikas – der englischen zu trotzen vermag. In allen seinen Marine-Arsenälen herrscht die größte Thätigkeit und binnen Kurzem dürfte Frankreich in der That eine Flotte besitzen, die allen übrigen Marinen zusammen, mit Ausnahme der brittischen, überlegen sein möchte.
Auf diese Vergrößerung seines Einflusses auf dem Meere sind auch die Schritte gerichtet, die es zur Erwerbung neuer Niederlassungen im stillen Ocean gethan, der vielleicht in wenigen Jahren nicht mehr so außerordentlich entlegen, wie jetzt, von Europa sein wird, da der Plan, die Erdenge von Panama zu durchstechen und eine Verbindung zwischen dem atlantischen Meere und dem stillen Ocean herzustellen, seiner Verwirklichung immer mehr entgegen geht. Alsdann wird es nur der Hälfte der Zeit bedürfen, die man jetzt braucht, um von Frankreich nach den Marquesas- oder nach den Gesellschafts-Inseln zu gelangen, die, selbst den Engländern völlig unerwartet, direct unter die Herrschaft oder den Einfluß der Franzosen gekommen sind. Man hat wegen dieser Erwerbungen die Eifersucht der Engländer zu erregen gesucht; die englische Regierung scheint jedoch keine große Wichtigkeit darauf zu legen. Als vor mehren Jahren ein französischer Abenteurer, Baron Thierry, die beiden großen Inseln von Neu-Seeland in das französische Interesse zu ziehen suchte, da schritt freilich England zeitig genug ein, um seine eigne Herrschaft daselbst zu sichern, wie diese denn auch in der That dort jetzt ebenso consolidirt ist, wie in den Niederlassungen auf Neu-Holland; die kleinen, von unzähligen Häuptlingen beherrschten und kaum zu controlirenden Marquesas- und Gesellschafts-Inseln überläßt es jedoch, ohne sonderlichen Einspruch zu thun, den Franzosen, in der Hoffnung, daß diese, bei ihrer so oft bewiesenen Unfähigkeit, zu colonisiren und für die Zukunft anzubauen, dort entweder bald völlig scheitern, oder doch mindestens eine Art von Algier, d. h. eine Besitzung, die Menschen und Geld kostet, daraus machen werden.
Inzwischen geht Frankreich augenscheinlich nach einem seit mehren Jahren reiflich durchdachten Plane zu Werke. Es hat ohne großes Aufsehen auch in anderen Welttheilen seine Niederlassungen und Seestationen vermehrt. Dazu gehört unter Anderm eine Gebiets-Erwerbung im östlichen Afrika, an der westlichen Küste des rothen Meeres, gerade bei dem Eingange der Straße Bab el Mandeb. Ebenso hat Frankreich im westlichen Afrika an der Küste von Ober-Guinea – die in diesem Jahre der Prinz von Joinville mit seinem Geschwader besuchte – nicht weit vom oder am Delta des Niger und unfern von Cap Palmas, Niederlassungen erworben, während es andererseits sein freundliches Verhältniß zu Mehmed Ali dazu benutzt, um den obern Lauf des westlichen oder weißen Nils zu erforschen, und hier möglicherweise eine großartige Verbindung zwischen dem westlichen und dem östlichen Afrika herzustellen.
Die Debatten der französischen Kammern, die einst, als es noch um die Entscheidung über Principien sich handelte, welche ein Volk politisch frei oder unfrei machen, das Interesse des ganzen civilisirten Europa und besonders Deutschlands auf sich zogen, gehen jetzt fast spurlos vorüber. Die großen Principien sind in Frankreich durch die Juli-Revolution ein- für allemal festgestellt; man streitet sich dort nur noch um Personen, und diese sind nicht hervorragend genug, um uns anzuziehen, oder gar um uns das Näherliegende, die in der Heimath noch nicht entschiedenen Principien, vergessen zu machen. Drei Fragen sind es, die in Frankreich seit einiger Zeit die Kammern und die Politiker beschäftigt haben: 1) Die Zuckerfrage, die Frage nämlich, ob der einheimische Runkelrüben-Zucker dem von den Colonieen erzeugten Rohrzucker zum Opfer gebracht werden soll; 2) die Zollverhältnisse mit Belgien und Deutschland, wobei es sich im Grunde nur darum handelt, wie dem Andern die meisten Vortheile abzugewinnen seien, ohne ihm dafür etwas zu gewähren; und 3) endlich der Durchsuchungsrechts-Vertrag, den wir bereits oben berührt haben.
Unsere deutschen Leser, die sich hauptsächlich für die zweite der hier erwähnten Fragen interessiren, werden sich erinnern, daß der im vorigen Jahre in Stuttgart versammelt gewesene Zollcongreß den seitdem auch zur Ausführung gekommenen Beschluß gefaßt, in dem außerdem fast unverändert gebliebenen Zolltarif ausnahmsweise den Eingangszoll auf gewisse französische Luxus-Artikel, wie Bronzen, Uhren, Gold- und Silber-Arbeiten, Parfümerieen, lederne Handschuhe, Papiertapeten und andere Gegenstände, sowie endlich auf Franzbranntwein, um 100 pCt. zu erhöhen. Es wurde dies als die Retorsionsmaßregel gegen die von Frankreich angeordneten Beschränkungen der deutschen Industrie für nothwendig erachtet. Namentlich hatte dasselbe den Zoll auf die früher von Deutschland eingeführten Nähnadeln und Angelhaken, sowie auf Lein- und Hanfgarn, Leinenzeuge und Schwarzwälder Uhren ansehnlich erhöht, ferner den Zink bei dessen Einfuhr in anderen als französischen Schiffen mit einem höhern Eingangszolle belegt, und dadurch besonders der Stettiner Rhederei einen sehr bedeutenden Nachtheil zugefügt. Vergebens hatte man sich auf diplomatischem Wege bemüht, eine Aenderung dieser Maßregeln herbeizuführen; seitdem jedoch jene Retorsionen von Seiten Deutschlands eingetreten – Retorsionen, welche besonders die Pariser Industrie auf das Empfindlichste treffen – haben die Fabrikanten der französischen Hauptstadt bereits allen ihren Einfluß angeboten, um ihre Regierung zu Schritten zu bewegen, durch welche der deutsche Zollverein wieder versöhnt werde. Letztere hat in der That auch bereits den deutschen Regierungen allerlei Vorschläge gemacht, die jedoch, so lange sie nicht auf eine vollständige Zurücknahme der oben erwähnten Zollerhöhungen lauten, der getroffenen Vereinbarung gemäß, nicht angenommen werden können. Deutschland wird durch diese Festigkeit gewiß diejenigen Bedingungen erlangen, die seiner vom Auslande so sehr bedrängten Industrie, Frankreich gegenüber, nothwendig sind, und es wäre nur zu wünschen, daß es auch England gegenüber mit derselben Festigkeit aufträte.
Am 21. April fand im Schlosse von St. Cloud die Vermählung der Prinzessin Clementine, dritten Tochter des Königs der Franzosen, mit dem Prinzen August von Sachsen-Koburg, Bruder des Königs Ferdinand von Portugal und der Herzogin von Nemours, statt. Ludwig Philipp hat nun sein fünftes Kind mit Deutschlands Kindern vermählt; zwei dieser Ehen sind zwar durch den Tod bereits wieder getrennt worden, doch ist die Herzogin von Orleans, geb. Prinzessin von Mecklenburg, als Mutter des französischen Thronerben, mit Frankreichs Geschicken noch auf das Innigste verbunden, und auch der Herzog Alexander von Württemberg, Gemahl der verstorbenen Prinzessin Marie, lebt meistens in der französischen Hauptstadt. Die drei außerdem vermählten Kinder des Königs sind mit dem Könige der Belgier, Leopold von Sachsen-Koburg, der Prinzessin Victoria von Sachsen-Koburg und dem eben erwähnten Prinzen August von Sachsen-Koburg verbunden.
Englands Königshaus hat am 21. April durch den Tod des Herzogs von Sussex einen Verlust erlitten, dem wir bereits einen ausführlichen Artikel[WS 1] gewidmet haben; und ist dagegen am 25. April durch die Geburt des dritten Kindes der Königin Victoria aus ihrer Ehe mit dem Prinzen Albrecht von Sachsen-Koburg-Gotha, – nicht Albert, wie ihn gewöhnlich deutsche Zeitungen nach englischem Sprachgebrauch zu nennen pflegen – erfreut worden. Die Prinzessin hat in der Taufe die Namen Alice Maud Mary erhalten.
England, das im vorigen Jahre in der Herrschaft seines großen asiatischen Reiches um einen Schritt zurückweichen mußte, indem das von ihm zum Schutz gegen Rußland heimliche Uebergriffe besetzte Afghanistan durch schmählichen Verrath und Mord sein Joch abschüttelte, hat sich in diesem Jahre dafür schadlos zu halten gewußt, und zwar in Gegenden, die dem Herzen seiner Herrschaft näher liegen. Einen willkommenen Vorwand dazu lieferte ihnen das zweideutige Benehmen der Emire von Sind, die schon beim Hinzuge der Engländer nach Afghanistan ihre Sympathieen für die dort angegriffenen muhammedanischen Brüder nicht zu unterdrücken vermochten. Als nun die Britten einige feste Plätze am Indus besetzten, um den Rückzug aus Afghanistan besser decken zu können, da brach in Hyderabad, der Hauptstadt von Sind – welches mit Hyderabad in Deccan, der Hauptstadt des den Engländern bereits zinspflichtigen Radschahs von Hyderabad, nicht zu verwechseln – ein militairischer Aufstand gegen den großbritannischen Bevollmächtigten, Obersten Mylne, aus. Obwohl aber die Emire bei Hyderabad ein Heer von 22,000 Beludschen versammelt hatten, gelang es doch dem General Sir Charles Napier mit etwa 3000 Mann diese am 17. Februar völlig in die Flucht zu schlagen und die schwachen Fürsten gefangen zu nehmen. Diese sind darauf von dem General-Gouverneur von Ostindien abgesetzt worden, und das Reich Sind bildet nunmehr eine Provinz der brittischen Präsidentschaft Bombay. Zu Hyderabad sollten die Engländer große Schätze gefunden haben, die auf mehr als eine Million Pfund Sterl. geschätzt werden.
In England selbst machen sich noch immer die Folgen industrieller und agraischer Mißbräuche bemerklich. Hungernde Fabrikarbeiter setzen hie und da Stadt und Land in große Unruhe, aber so arg auch mitunter die Zeitungsberichte lauten: es ist nicht immer so gefährlich, wie es scheint. Das Land besitzt zu umfassende Hülfsmittel, als daß es nicht jedem Drängen dieser Art bald sollte einen Damm setzen können. Von ernstern Folgen dagegen dürfte die Aufregung sein, die jetzt in Irland herrscht, wo Daniel O’Connel und seine Söhne für die Auflösung der Union mit Großbritannien täglich zahlreichere Anhänger fnden. O’Connel hatte bis zum 10. Juni seinen Platz im englischen Parlamente noch nicht eingenommen, ja, es hieß sogar, er habe erklärt, daß er ihn nicht wieder einnehmen wolle, da er nur das wiederhergestellte irländische Parlament als seinem Lande geziemend anerkenne. Ob aber gleich die politische Frage in Irland, wo das eine Achtel der Protestanten das gesammte Kirchenvermögen der sieben Achtel Katholiken besitzt, leicht einen religiösen Charakter annimmt, so schien gleichwohl die Regierung im Anfange entschlossen, mit äußerster Strenge auftreten zu wollen. O’Connel weiß indessen immer genau zu berechnen, wie weit er zu gehen habe, um dem Gesetze nicht zu verfallen, und es läßt sich ebenso wenig in Abrede stellen, daß seine Forderungen für Irland gerecht sind, als daß ein Mann, dem Hunderttausende von leichterregten Irländern auf ein Wort folgen, nur ein Mann von ungewöhnlicher Bedeutung sein könne.
In Belgien hat am 16. April eine Ministerveränderung stattgefunden. Sämmtliche frühere Minister sind ausgeschieden mit Ausnahme des Herrn Nothomb, des Verfassers der „Geschichte der Belgischen Revolution“, der das Haupt und die Seele des Kabinettes geblieben, das mithin auch keine wesentlich neuen Gesichtspunkte darbieten wird. Im Ganzen sind jedoch einige mehr liberale Nuancen hineingekommen, wobei zu bemerken, daß in Belgien die Bezeichnung „liberal“ hauptsächlich als Gegensatz zur „katholischen“, d. h. klerikalen Partei gebraucht wird. Minister der auswärtigen Angelegenheiten ist General Goblet geworden.
Am 3. Mai hat sich auf der Eisenbahn zwischen Lüttich und Brüssel, auf der Strecke zwischen den Stationen Waremme und Landen, ein Unglück zugetragen, das lebhaft an eine ähnliche, wenn auch viel bedeutendere Katastrophe erinnerte, die vor einem Jahre um dieselbe Zeit auf der Eisenbahn zwischen Versailles und Paris sich zutrug. Auf einem der Packwagen, die der Locomotive unmittelbar folgten, entstand – wahrscheinlich durch eine zersprungene Alkoholflasche, mit deren Inhalt ein Funke in Berührung gekommen war – ein Feuer, das diesen Wagen verzehrte, und die in den Personenwagen sitzenden Passagiere dermaßen in Schrecken setzte, daß ein Theil derselben heraussprang, obwohl der Zug noch seine volle Geschwindigkeit hatte. Er wurde zwar bald darauf zum Stehen gebracht, aber bereits waren fünf Menschen getödtet und zwölf schwer verwundet – sämmtlich in Folge des gethanen Sprunges, während diejenigen, die auf ihren Plätzen geblieben oder gewaltsam zurückgehalten worden waren, unbeschädigt davon kamen.
Die Thätigkeit der Niederländischen Generalstaaten war in der letzten Session hauptsächlich auf den Gesetzentwurf gerichtet, durch welchen die fünfprocentigen
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Nr. 3, S. 35–37: Der Tod des Herzogs von Sussex
: Illustrirte Zeitung, Nr. 4 vom 22. Juli 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_04.pdf/7&oldid=- (Version vom 6.1.2019)