Als sie zu dem Hause des Kaiphas gekommen waren, o wie gar gerne hätte sie ihn gesehen und mit ihm geredet. Aber Beides war ihr verwehrt, denn sie fanden das Haus verschlossen aus Furcht vor dem gemeinen Volke, das den Herrn gar lieb hatte und an ihn glaubte.
So mußte die Mutter Gottes, die Königin der Welt, vor dem Hause stehen, und es war ihr nicht vergönnt, zu ihrem göttlichen Kinde zu kommen.
Nun war es in der ganzen Stadt bekannt geworden, daß Jesus gefangen genommen sei, und es liefen die heiligen Frauen, die dem Herrn nachgefolgt waren, im größten Jammer herbei und umringten die schmerzhafte Mutter. Und es liefen auch viele gewappnete Juden herbei, all’ grimmig wüthend gleich den Wölfen gegen das sanftmüthige Lamm, das der Welt Sünden trägt.
Davon ward der Jammer der heiligen Mutter Gottes mannigfaltig gemehrt und sie mochte wohl, die allertraurigste Mutter, nicht unbillig den seligen Johannes fragen:
„Lieber Freund Johannes: Wer ist bei ihm? Wo ist Petrus und die anderen Jünger!“
Da antwortet ihr Johannes:
„O meine allerliebste Frau, du sollst mich nicht fragen; denn ich habe dir nichts zu sagen, das dir einige Tröstung bringen möchte, sondern allein das dir Schmerz bringt und dein Leid größert und mehrt.
Franz Joseph Holzwarth: Passionsbilder. Franz Kirchheim, Mainz 1856, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Holzwarth_Passionsbilder.djvu/65&oldid=- (Version vom 1.8.2018)