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Arbeiterverein, all der Herrlichkeiten, die über deine teure Vaterstadt so verschwenderisch ausgestreut sind, daß ihr gleich in allen deutschen Landen nichts gefunden wird – all der still verborgenen Heimlichkeit in deinen Kirchengebäuden, all der trauten Erker und Bauten, in die kleine unscheinbare Liebe hineingeheimnist ward, freue dich, daß die Kunst hier eine Stätte hatte wie kaum irgendwo! Evangelische Art ist nicht Kunstflucht, sondern Kunstfreude!

 Wie hat dein Bohrer und seine Genossen die edle Musika in dem Verein gepflegt – ein rechtes Vermächtnis Martin Luthers, der einmal sagt:

„Wer sich die Musik erkiest,
hat ein himmlisch’ Gut gewonnen,
denn ihr erster Ursprung ist
aus dem Himmel hergenommen,
da die lieben Engelein
selber Musikanten sein.“ –

 Da schweigt die Traurigkeit; es weichen alle Bitternisse des Lebens; da zerrinnen die Sorgen, es vergehen die Ängste; da klingt das fromme, deutsche, keusche Volkslied und in großen Akkorden mit der Dominante: Allein Gott in der Höh sei Ehr! der Säulen bewegende, Dome durchschütternde lutherische Choral. – Freue dich des Sanges und Klanges in deinem Volk und in deiner Kirche!

 Und noch eins. All das könnte dich nicht so recht erquicken, wenn in dir, feiernder Verein, nicht traute und treue Freundschaft bestünde. Luther weiß, warum er in der Auslegung der vierten Bitte gerade gute Freunde u. getreue Nachbaren nennt. Evangelischer Arbeiter-Verein, schließe deine Reihen dichter, gründe Freundschaften für das Leben, tiefste Beziehungen übers Grab hinaus! Gönnt einander Genuß der Freundschaft, einer des andern Gewissen, Rat und Trost!

 „Ich bitte nicht, daß du sie von der Welt nehmest.“ Den Genuß nach der Arbeit, die Arbeit aus dem Genuß, den Genuß zur Würze der Arbeit, die Arbeit, um den Genuß zu verdienen – so wünscht der Herr heute Weltoffenheit dem Evangelischen Arbeiter-Verein Nürnberg.

 II. Aber die Weltoffenheit hat eine Gefahr, das leugnen wir nicht. Der Lutheraner ist ein Mensch der Vorsicht, der Protestant ein Mann des Gewissens, der evangelische Christ trägt seine Seele in seinen Händen. Weltoffen, aber nicht weltverloren! Weltherrlich, aber nicht weltgeknechtet!

 „Ich bitte, daß du sie bewahrest vor dem Argen.“ Aus der Tiefe der Gottesschau, aus den Wellen des Völkermeeres, aus der Heimlichkeit unergründeter Gedanken steigt eine furchtbare Gestalt herauf. Ihre Wirklichkeit leugnen heißt sich betören – ihre Wirklichkeit ausführen wollen ist vergebliches Beginnen.